– oder: Welche Dinge braucht der Mensch?
Wem gehört was auf unserer Erde? Als simple Frage stand dies Mitte der 90er Jahre in Diskussionen über die Zukunft der Welt im Raum. Um Antworten zu finden, beauftragte die Zeitschrift GEO eine internationale Fotografengruppe, die in 30 Ländern rund um den Globus Familien aussuchte, um sie vor ihren Wohnstätten mit ihrem Hab und Gut abzubilden.
Die Fotografien (GEO Nr. 9/1994) zeigen unter anderem afrikanische Großfamilien mit ihren einfachen Gebrauchsdingen, mit Geschirr oder Korbwaren vor ihrer Hütte mitsamt ihren Nutztieren, die ihren wertvollsten Besitz darstellen. In geradezu grotesken Missverhältnis dazu stehen die verwandten Fotos aus den reichen Industriestaaten (Deutschland oder Japan). Dagmar Steffen berichtet in ihrem Sammelband »Welche Dinge braucht der Mensch?« ausführlich über diese Diskrepanz (Gießen 1995, S. 9). Dort nämlich, notiert sie, seien die Familien »von einer üppig aufgetürmten, bunten Dingwelt umgeben, ihre Wohnungen erscheinen als Mikrokosmos, in dem sich fast alle Produktgruppen wiederfinden, die Kaufhäuser oder Versandhäuser anbieten. Esstisch, Stühle, Sofagruppe, Kleider- und Bücherschränke, diverse Regale, Betten, Fernseher, Hifi-Anlage, Motorrad, Fahrräder, Auto, Kühlschrank, Herd, Spülmaschine, Spielzeug und vieles mehr – laut Statistik besitzen Bundesbürger im Durchschnitt zehntausend Dinge«. Im gleichen Tenor, abgesichert durch nüchterne statistische Daten, berichtet DIE ZEIT damals: »Würde das Wirtschaftswachstum in diesem Tempo weitergehen, so würden unsere Kinder nochmals doppelt, unsere Enkel viermal und unsere Urenkel achtmal so viele Güter zur Verfügung haben.« (Nr. 25/1995) Der Baseler Sozialwissenschaftlers René Frey ergänzt diesen »Beweis für das Wettrüsten der Konsumenten: 1938 hat der Deutsche pro Jahr 8 Kilogramm Textilien verbraucht, 1993 waren es 23 Kilogramm. Langlebige Produkte, die Müll vermeiden helfen, sind selten geworden.«
Der paradoxe Kulturvergleich bestätigt nur, was viele ahnten: Unser materieller Wohlstand ist mit untragbaren Risiken für die Lebensgrundlagen erkauft. Über den systemischen Tellerrand schauend, brachte es der Ökonom Orio Giarini auf den Punkt: »Das Produktionssystem der Industriegesellschaft ist im wesentlichen Teil ein Prozess der Transformation von Rohstoffen zu Müll.« Bei nüchterner Betrachtung verbergen also auch unsere geliebten Designdinge gewaltige Müllhalden. Gebrauchsdinge sind also zugleich potenzieller Abfall.
Angesichts der stetig ansteigenden Güterproduktion und ihren negativen Folgen beschäftigt sich fortan auch das Industriedesign intensiver als je zuvor mit den aufgeworfenen Fragen nach der Sinnhaftigkeit, Qualität, Nachhaltigkeit und grundsätzlichen Last ihrer Erzeugnisse für die Umwelt. Öko-Design wird salonfähig und verliert sein wollsockiges Image. »Small is Beautiful« oder die Rückkehr zum menschlichen Maß (siehe: http://www.langelieder.de/lit-schumacher.html ) entwickelt sich zu einer umweltpolitischen Wertfrage, die nicht mehr fortzudenken ist. Die bislang verdrängte Kehrseite der mehr oder weniger auch von Designern mit zu verantwortenden Produkteigenschaften hatten faktisch zur rücksichtslosen Umweltzerstörung mit beigetragen, weil »ökologische Aspekte […] bisher bei der Entwicklung, Herstellung, Vertrieb, Nutzung und Beseitigung von Produkten in der Regel kaum eine Rolle [spielten].« (Steffen, ebd. S. 15)
Dieses feststellbare Umdenken korrespondierte offensichtlich mit der Unzufriedenheit vieler Konsumenten. Eine beträchtliche Anzahl sozial oder ökologisch motivierter Designer reagiert darauf, weil ihnen ihre Tätigkeit in einem weitgehend auf ex und hopp angelegten Wirtschaftssystem höchst suspekt erschien. Fortan beteiligten sie sich in ihren Arbeitsfeldern an den revidierten Anforderungen. Beispiel: Verwendung von Plastik als Werkstoff. Nachgewiesenes Problem: Viele Produkte, »die man ge- oder verbrauchen kann, besitzen eine enge Verbindung mit Kunststoff. Telefone, Schnuller, Verpackungen, Möbel, Computer, ja sogar Autos werden aus Kunststoff gefertigt. Trotzdem besitzt Kunststoff eine erstaunliche Dauerhaftigkeit, obwohl die Assoziation zu kurzlebigen Dingen nahe liegt.« (Andreas Ingerl, siehe die Quelle unten) Wie man es auch dreht und wendet: Plastik bleibt letztendlich krankmachendes Gift für die Umwelt und den Menschen. Werner Boote prägte mit seinem Dokumentarfilm PLASTIC PLANET den Begriff des “Plastikzeitalters”. Auch der naive Glaube an die »Entsorgung« des Plastikmülls durch Recycling, Verbrennung, Sortentrennung – wie aus Kunststoffmüll fabrizierte Abflussrohre und Blumenkübel – lösen das Kernproblem nicht wirklich. Es besteht inzwischen Konsens darüber, dass technische Lösungen unzulänglich sind.
Eine gründliche Reflexion über Öko-Design erlaubt keine pauschalen Antworten. Denn auch “die Vorstellung vom einfachen Leben ist ein emotional-regressiv hoch aufgeladenes Bild.” (Gert Selle) Und ob die Rückkehr zu früheren, bewährten Gebrauchsdingen, wie sie beispielsweise Manufactum (siehe: http://www.manufactum.de/Produkt/175248/1397426/TonKaffeehausstuhl.html ) anbietet, oder eher die originellen Designlieblinge aus geschreddertem Papier, Plastikmüll, Wellpappe oder Abfallholz den rechten Weg weisen, das sei zunächst dahin gestellt. Dagmar Steffen argumentiert hier sehr vorsichtig, denn »wer sich allein auf die Verbesserung der Umweltverträglichkeit von Produkten konzentriert, ohne das Produkt in seinem Gebrauchskontext zu hinterfragen und umfassende Änderungen des Verhaltens- und Lebensstils einzufordern, handelt unter Umständen sogar kontraproduktiv. […] Hinzu kommen müssen Verhaltensänderungen, ein neuer Lebensstil.« (Dies., ebd. S. 16)