Während Neill Amstrong unter dem Jubel seiner amerikanischen Landsleute 1969 den Mond betritt, hat die »große Koalition« zwischen SPD und CDU (1966-68) nach heftigen Kontroversen um den Bundeshaushalt gerade das Handtuch geworfen, weil es nicht mehr gelang, die politischen Gegensätze auszugleichen. Willy Brandt avanciert 1969 zum neuen Bundeskanzler, und mit seinem politischen Programm »mehr Demokratie wagen« eröffnet er den Weg zu vielen Reformen, die sich von den konservativ-autoritärer Politikmustern der Adenauer-Ära auffallend unterscheiden. Doch die Proteste und die APO-Bewegung kann auch Brandt nicht aufhalten.
Die Auswirkungen der Demokratiebewegung auf die kulturellen und ästhetischen Wertvorstellungen der Designer sind von Thomas Hauffe geschildert worden. Zur zunehmend kritischen Sichtweise gegenüber Kommerz und Zweckrationalismus notiert er:
»Viele Designer hinterfragen ihre Arbeit und wollen nicht länger als »Handlanger der Industrie« arbeiten. Die Frage nach der Funktion des Designs wird ganz neu gestellt, und es entstehen radikale Gegenbewegungen gegen dem Funktionalismus und das Mainstream-Design der Industrie. Unter dem Einfluss von britischer Pop-Musik, von Pop-art und amerikanischer Hippie-Bewegung bildet sich eine […] Formensprache heraus, die gegen die geltenden ästhetischen Normen und tradierten Verhaltensmuster rebelliert. Die neuen Kunststoffe ermöglichen eine spielerische, oft ironische oder provokative Gestaltung, die die Konsumgesellschaft parodieren.«
Klar, Pop ist von seinen Anfängen in England und den USA gezielt darauf angelegt, die herkömmlichen Grenzen zwischen Kunst, Konsum, Werbung, Medien oder Design zu verwischen. Längst ist entschieden, dass die Brillo-Boxes, Marylin oder Campbell-Dosen nicht mehr zur Subkultur gehören. Damit wird aber nur verdeckt beim Namen genannt, dass mit den Beatles oder den Rolling Stones, mit Andy Warhol und Flower-power das Protestpotential – lediglich neu etikettiert – unspektakulär in den Markt integriert wurde. Und natürlich erblicken neben der Integration von Pop in die Hochkultur viele verwandte und langlebige Objekte des täglichen Gebrauchs das Licht der Designwelt.
Bemerkenswert sind jedoch über die rasche ästhetische Vereinnahmung hinausgehende Gegenvorschläge in Architektur und Design, die aus der politischen Ablehnung einer zerstörerischen »Affluent Society« (John K. Galbraith) mit ihrer kurzsichtigen Weg-Werf-Mentalität hervorgingen. Der Club of Rome legte 1968 der Weltöffentlichkeit seinen ersten, spektakulären Bericht über »Die Grenzen des Wachstums« [1] vor, wenige Jahre später erschütterte 1973 die erste Ölkrise die Industrieländer. Durch diese Fakten entstehen auch Formen eines experimentellen »Anti-Designs«, das sich aufgrund seiner buchstäblichen »Sperrigkeit« nur widerstrebend in das kommerzielle Angebot integrieren lässt: Selbst fabrizierte Sperrholz-Möbel, Ziegelstein-Regale, Sperrmüll-Einrichtungen, nostalgische Hausbodenfunde, gestapelte Kartoffelkisten als Bücherkontainer, Flohmarktartikel, Gurkengläser als Vasen oder die Matratze auf dem kargen Fußboden werden gesellschaftsfähig.
Neue kulturtheoretische Überlegungen aus dem Umfeld einer »Kritik der Warenästhetik [2]« (Wolfgang Fritz Haug) legitimieren den wohl eher antiästhetischen Ausdruck dieses Protestes, doch auch weniger rebellische Ökonomen, die mit marxistischer Exegese wenig am Hut haben, sprechen angesichts der zunehmenden Wirtschaftskrisen von einer »Anarchie des Marktes«, der gekennzeichnet sei durch »Massenproduktion in unkontrollierbarer Zusammensetzung, weiterer Differenzierung des Angebots, Herabsetzung der Lebensdauer der Güter, Heraufsetzung der Schwelle des notwendigen Bedarfs, Angebotsüberhang.« (Carola Möller). Der konsumskeptischen Betrachtung entspricht das unübersichtliche Angebot, das sich in verstärkt auftretenden, sich schnell verschleißenden »Wellen« äußert: Nostalgie-, Eckig- und Rustikalwelle, Militarylook, Soft-Line, Jeanslook, »Primary Design« oder das nicht zu übersehende Kiefernholz-Ambiente. Diese meist kurzlebigen Moden gelten als Ausdruck einer andauernden »Krise des Wohlstandsdesigns« (Herbert Lindinger), in dem zwar, die Tatsachen verschleiernd, der Kunde zum König deklariert wird, das jedoch in Wirklichkeit unentschlossen eher den Verkaufsinteressen der Hersteller dient – und aufgrund der paradox kurzen Lebensdauer der Objekte die Sperrmüllberge wachsen lässt.