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Über das Relative der „Lebensdauer“

Ein Produkt funktioniert nicht mehr. Warum? Entweder ist es ästhetisch kaputt, oder es erfüllt technischmechanisch nicht mehr seinen Zweck. Ästhetisch gesehen: Kleider werden geändert, Schränke übermalt, oder der Gegenstand wird einfach in die Ecke gelegt. Technisch gesehen: Strümpfe werden gestopft, Kühlschränke repariert. Oder sie werden weggeworfen. Aber es gibt auch technische Produkte, die man ganz gerne behalten würde, wenn sie noch reparabel wären. Denn: funktionieren sie nicht mehr, so werden sie um so weniger weggeworfen, als sie einem gefallen. Nur – Strümpfe kann man selber stopfen, zum Reparieren eines Kühlschrankes braucht man Experten, die dies beherrschen. Die Wertanalyse kennt den Grundsatz “so gut wie nötig, nicht so gut wie möglich”. Die Feststellung, was nötig ist, wird bei verschiedenen Firmen freilich unterschiedlich ausgelegt. Praktisch aber gilt, daß man eine Funktion nicht übererfüllen sollte, wenn das Mehr an Funktion vom Verbraucher nicht mehr erkennbar ist, also nicht gebraucht wird. – Zum Beispiel: Wenn eine Bohrmaschine oder ein Handrührer eine Motorlebensdauer von 500 Stunden haben, wird diese Lebensdauer im praktischen Gebrauch nie ausgeschöpft. · Die Folge einer solchen Übererfüllung der Lebensdauer wäre sogar negativ: Die Motoren werden schwerer, die Geräte unhandlich und natürlich auch für den Käufer teurer.

“Eingebauter Verschleiß”?

In einer früheren ARD-Ratgebersendung sprach man bei Handbohrmaschinen für Heimwerker von “eingebautem Verschleiß”. Dabei hatte man folgendes entdeckt: Für eine billigere Maschine war das “so gut wie nötig” auf 100 Stunden Lebensdauer (der Kohlebürsten) ausgelegt. Bei teureren Geräten dagegen wurden die selbstabschaltenden Kohlebürsten positiv bewertet, da im Falle des Kohleverschleißes der Kollektor nicht leidet. Wenn man heute allerdings weiß, daß die durchschnittliche Benutzungsdauer einer Handbohrmaschine im Haushalt 5 Stunden pro Jahr beträgt, kann in diesem Falle also gewiß nicht von einem “eingebauten Verschleiß” gesprochen werden: Die Kohlelebensdauer wird praktisch im Gebrauch gar nicht erreicht. Mit der billigeren Maschine aber wird dem Verbraucher ein Gerät angeboten, das er für relativ wenig Geld erstehen kann und das vernunftgemäß in anderer Relation zu sehen ist als ein mehrfach teureres Gerät. Ein Profi wird sich ohnehin eine andere Maschine kaufen. In Designer-Kreisen war es – vor den Digital-Uhren – schick, 30-Mark-Timex-Uhren zu tragen, statt Omega- Uhren. (Der klassische Uhrmacher ist inzwischen fast ausgestorben.) Oder wie beliebt ist das 1,50 DM-Wegwerf-Feuerzeug im Vergleich zum “edleren” und teureren Dauerfeuerzeug. Warum auch nicht?

Die Frage der Lebensdauer ist eine Frage der Relation.

Ein Kind ist traurig, wenn der bunte Luftballon in der ersten halben Stunde ganz ohne Zutun platzt. Von einer Drehbank wird erwartet, daß sie eine Ewigkeit genau das tut, was man von ihr erwartet. Hat man nun einmal einen Wert der anzustrebenden oder einzuhaltenden Lebensdauer festgelegt, sagen wir 200 Stunden für einen Handrührer, dann ist es üblich, dies Gerät in dem gesetzten Rahmen so gut wie möglich herzustellen. Fehler passieren schon von selbst. Selbst die beste Qualitätskontrolle verhindert nicht, daß eine Anzahl von Geräten vorzeitig ausfällt. Streuungen sind immer vorhanden. Markenartikler wie z. B. Krups verstehen die Diskussion um den eingebauten Verschleiß ohnehin nicht. Sie streben an, daß Produkte so lange wie möglich halten; denn je länger ein Modell läuft, um so länger können Werkzeuge ausgenutzt werden und Einführungs-Promotions entfallen. Zudem: Qualität im Sinne von Haltbarkeit wird als imagebildend angesehen. Reklamationen stören nicht nur den Betriebsablauf, sondern sind für einen Markenartikel (langfristig) schädlicher als bei einem unbekannteren Einzelprodukt. Die Reparierbarkeit eines Gerätes ist ein weiterer Gesichtspunkt. Sie ist ein Lebensdauer verlängernder Faktor, doch er spielt bei weitem nicht die Rolle, die man ihm landläufig beimißt. Sie ist entweder eine Wiedergutmachungsleistung für eingebaute Fehler oder zu früh eingetretenen Verschleiß, oder sie trägt jenem geringen Prozentsatz von Benutzern Rechnung, dem die konstruktiv konzipierte Lebensdauer zu kurz ist. Ein Beispiel: Der hier gezeigte Haartrockner von Braun ist nicht zu reparieren, und doch ist er an sich konsequent: Es ist ein Gerät mit mittlerer Leistung, klein, handlich und kostet nur 30 Mark. Doch weil sein Gehäuse verschweißt ist und damit eine Reparierbarkeit ausgeschlossen wurde, könnte dieses Prinzip des Wegwerfprodukts negativ gesehen werden. Doch setzt man beim Hersteller eine technische Qualität voraus, die mit nur etwa 1% Fehlerquote rechnet, dann wäre die Belastung für das Unternehmen durch den Austausch gegen neue Geräte geringer als der Mehraufwand für eine verschraubte Gehäusekonstruktion, die dann zu 99% nicht benötigt wird. Setzt man zudem noch die vom Verbraucher zu bezahlende Reparatur (Zeit, Material) ein, so dürfte der Austausch durch ein neues Gerät auch für ihn die billigere Lösung sein. Ohnehin sind bei vielen Herstellern die Geräte zwar aufschraubbar, zur Reparatur eingesandt werden sie häufig verschrottet, d. h. dem Kunden wird zu einem angemessenen Kulanzpreis ein neues Gerät gegeben. Dieses scheinbar so elegant gelöste Problem ist jedoch vielschichtiger, als es zunächst aussieht. Das Gerät muß an den Service der Fabrik zurück, bei einem kleinen Kontaktfehler muß das ganze Gehäuse zerstört werden. In einer Reihe von Ländern sind verschweißte oder verklebte Gehäuse gar nicht zulässig, sie müssen demontagefähig sein. In diesem Sinne ist auch das Werkbund-Projekt “Langzeitprodukt” zu relativieren. Der Schwerpunkt der Werkbund-Dokumentation liegt im Ästhetischen. Die Modell-(Typen)Lebensdauer wird hier als Hauptkriterium angesehen. Es ist jedoch zu unterscheiden zwischen dieser Laufdauer eines Produktmodells und der Lebensdauer des einzelnen Produktes. Denn ein Langzeitprodukt, das über Jahre hinaus unverändert vom Hersteller produziert wird, kann sich für den Gebraucher sowohl technisch wie optisch durchaus als Kurzzeitprodukt erweisen. Wer prüft, ob es langfristig “funktioniert”? Die lange Laufdauer eines Staubsaugermodells beispielsweise sagt noch nichts über die tatsächliche Langlebigkeit im Sinne des technischen Verschleißes aus. Hohe ästhetische Lebensdauer wird als Beitrag zur Umweltgestaltung angesehen – es ist löblich, wenn wieder einmal daran erinnert wird, daß Gestalten auch mit kulturellem Schaffen zu tun hat. Es gibt also auch übergeordnete Kriterien für ein Produkt. “Lebensdauer” mitsamt ihrer Relativität ist zwar ein Teilaspekt, die Ästhetik ebenso. Doch da sind eben noch die gesamten ökologischen Aspekte, die mit zur Bewertung von Produkten oder zur Auswahl von Entwurfsalternativen herangezogen werden müssen. Sie sind ohne Schwierigkeit in den “logischen Baum” marketingmäßiger Produktplanung einzubauen: Lebensdauer taucht demnach als ästhetischer Aspekt und als physikalische Funktion auf; sie ist also als direkter Gebrauchswertfaktor, kulturell und ökologisch zu werten. Ökologisch spielt “Lebensdauer” nur dann eine untergeordnete Rolle, wenn z. B. keine der knappen Rohstoffquellen belastet werden und das verbrauchte Produkt entweder verrottet oder dem Recycling zugeführt werden kann. Unter dem Aspekt sind dann freilich auch die Wegwerfkameras und die nicht reparaturfähigen Hausgeräte zu sehen.

Billig ist Trumpf

Grundsätzlich wird heute eher versucht, ein Produkt billiger zu machen als bewußt Verschleiß einzubauen. Verbrauchermarkt-Bewußtsein zwingt viele Hersteller, ihre Produkte so billig wie möglich – nicht wie nötig – zu bauen. Auf bestimmten Märkten ist ein derartiger Preisverfall eingetreten, daß an so vielen Ecken gespart wird, so daß dem Fehlerzufall Tür und Tor geöffnet ist. Was daraus resultiert, sind Produkte, die von vornherein die Mindestforderungen an Funktion unterschritten haben. Ein Fahrrad z. B., das früher noch in die nächste Generation überführt werden konnte, hält heute meist nicht einmal mehr die Wachstumsperiode eines Kindes aus. Noch weniger: man muß es erst selbst montieren. Nach wenigen Fahrversuchen brechen die ersten Teile ab – vererbbar ist es nicht mehr. Mit anderen Worten: Beim Billigermachen eines Produktes leiden nur allzu oft die Grundfunktionen von vornherein. Gemeint sind nicht nur die pragmatischen, sondern auch diejenigen, die sich im Erscheinungsbild ausdrücken. Der ästhetische Verschleiß muß also nicht erst künstlich herbeigeführt werden, es ist gewöhnlich schlechte Arbeit im ganzen, Schludrigkeit. In der heutigen Szene sind viele Produzenten durchaus designbewußt. Nicht nur aus der Erkenntnis heraus, daß Design für den Wettbewerb Differenzierungsvorteile bringt, sondern oft auch aus einer einmal gewonnenen Überzeugung, daß es kein Fehler ist, eine Sache so gut wie möglich zu machen, wenn es nicht viel mehr kostet. Insofern scheint mir die Absicht des Werkbundes fragwürdig, Produzenten erziehen zu wollen – die wissen ziemlich genau, warum sie Kurzzeit- oder Langzeitprodukte machen. Sie wissen um die Qualität ihrer Produkte. Wie man zugibt, hat man die direkte Erziehung (Aufklärung) des Benutzers ja bereits aufgegeben. Nicht wenige Designer, die in der Industrie arbeiten, haben durch Stetigkeit vieles bewirkt. In manchen Unternehmen wird gute Gestaltung als Parameter betrachtet. Und selbst wenn man ein Ziel des Unternehmens wie die “Gewinnmaximierung” akzeptiert, so bleibt dennoch genügend Spielraum, Dinge gut oder schlecht zu machen – für den einzelnen Käufer und für die Gesellschaft. Er sollte alle Möglichkeiten nutzen, um die richtige Relation zwischen Gebrauchswert und Preis zu erreichen – unter Berücksichtigung kultureller und ökologischer Aspekte. Das “Langzeitprodukt” um jeden Preis kann nicht pauschal gefordert werden. Wohl aber eine am tatsächlichen Gebrauch orientierte Lebensdauer, gemessen in der Vernunft ihrer sinnvollen Grenzen. Ansonsten kommen wir zu einer Langzeit-Ideologie, die das Machbare und das Wünschenswerte nicht mehr zu differenzieren weiß.

Autor*in

Limberg, Klaus

Werk

In: form 75/1977, S. 9-11.

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