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Kapitalistische Massenproduktion und Realisationsproblem –
Ästhetik der Massenware

„Wie die Ästhetik der schönen Künste das Kunstschöne, so hat die Warenästhetik das Warenschöne zum Gegenstand. Ihr Begriff zielt auf den ganzen Komplex ästhetischer Techniken, Erscheinungen und Subjekt- Objekt-Beziehungen, wie er im Zusammenhang der Produktion und des Verkaufs von Waren herausgebildet wurde. Haug analysiert zunächst die ökonomischen Beziehungen und Funktionen, aus denen Warenästhetik sich ableitet. Sodann werden ihre Rückwirkungen auf die kapitalistische Gesellschaft, vor allem auf die Arbeiterklasse, und ihr Hineinwirken in den Sozialismus untersucht. Zugleich werden die Grundbestimmungen einer sowohl allgemeinen als auch klassenspezifischen Theorie der Sinnlichkeit in Gesellschaften privat-arbeitsteiliger Warenproduktion entwickelt. Damit ist der Rahmen skizziert für die Ausweitung der Problemstellung auf die Frage nach den ästhetischen Funktionen zur Scheinlösung von gesellschaftlichen Grundwidersprüchen.“

Kapitalistische Massenproduktion und Realisationsproblem –
Ästhetik der Massenware

Die Kapitalisierung der Warenproduktion entfesselt großen Ansporn zur Entwicklung von Techniken der Produktion des relativen Mehrwerts, also der Steigerung des Profits auf dem Wege der Steigerung der Produktivität, insbesondere der Bildung von Maschinerie und großer Industrie. Zugleich schließt sie tendenziell alle Gesellschaftsmitglieder an die Verteilung der Waren über den Markt an. Sie schafft also mit der massenhaften Ausweitung der Nachfrage auch Technologie und Produktivkräfte der Massenproduktion. Nun sind es nicht mehr in erster Linie die teuren Luxuswaren, die das große Geschäft bestimmen, sondern die relativ billigen Massenartikel. Über Realisierung, Masse und Rate von Profit entscheiden jetzt die für das industrielle Kapital charakteristischen Verwertungsfunktionen. Innerhalb der Produktionssphäre sind folgende Rentabilitätsfunktionen in unserem Zusammenhang von Interesse: erstens Einsparung von Arbeitszeit pro Artikel durch Steigerung der Produktivität der Arbeit – hierher gehört die Tendenz zur Ausschaltung der Handarbeit (die dann als besonders hochgeschätzter Bestandteil der Anpreisung bestimmter Luxuswaren wiederkehren wird) und schließlich zur Ausbildung der Technologie massenhafter Produzierbarkeit standardisierter Artikel. Zweitens ist zu nennen die Verbilligung der Teile des konstanten Kapitals, die als Roh- und Hilfsstoffe und sonstige Zutaten ins Produkt eingehen. Drittens die Verringerung der Produktionszeit etwa durch künstliche Abkürzung von zur Reife notwendiger Lagerzeit. Man sieht, daß alle diese Veränderungen die Erscheinung eines Produkts modifizieren müssen. Hier erwachsen ebenso viele Funktionen, durch zusätzlich produzierten Schein die Veränderungen zu überdecken oder zu kompensieren. Raffinierte Oberflächenbehandlung oder Einfärbung mag Verschlechterungen von Material und Verarbeitung überdecken. Branntwein, der nicht, wie zu Erlangung seiner Reife erforderlich, einige Jahre in Eichenfässern gelagert wurde, woher seine bräunliche Farbe rührt, wird mit karamelliertem Zucker eingefärbt: so wird der Schein aufrechterhalten. Oder es werden mit der Reifungszeit zugleich die wesentlichen Zutaten eingespart und die Grenze zur Warenfälschung wird überschritten, wie es Engels am Beispiel der Rum und vor allem Weinfälschung darstellte, die mit der Entwicklung der Kartoffelbrennerei und der damit verbundenen Verdrängung der kleinbürgerlichen Schnapsbrennerei durch die industrielle der preußischen Großgrundbesitzer mächtigen Auftrieb erhielt. »Die Besoffenheit, die früher das Drei- und Vierfache gekostet hatte, war jetzt auch den Unbemitteltesten tagtäglich zugänglich gemacht … «, wobei der preußische Schnaps aufgrund seines hohen Fuselgehalts einer allgemeinen Brutalisierung und Abstumpfung in der Arbeiterklasse Vorschub leistete. […]

Hier muß die Ware ihren Salto mortale machen vielleicht bricht sie sich das Genick dabei. Hier lechzt der an den Warenleib gebannte Tauschwert danach, in die Geldform erlöst zu werden. Hier dreht sich alles um »das Mirakel dieser Transsubstantiation«, wie es im Kapital heißt, hier ist der Ort und der Zeitpunkt, da die Waren ihre Liebesblicke werfen. »Gäbe es jene Warenseele«, schreibt Walter Benjamin in seiner Schrift über Baudelaire als Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, »gäbe es jene Warenseele, von der Marx gelegentlich im Scherz spricht, so wäre es die einfühlsamste, die im Seelenreiche je begegnet ist. Denn sie müsste in jedem den Käufer sehen, in dessen Hand und Haus sie sich schmiegen will.« Gerade im übertriebenen Gebrauchswertschein schafft sich die Verwertungsfunktion, die auf das Realisationsproblem Antwort sucht, Ausdruck, und drängt sich der in der Ware steckende Tauschwert dem Gelde entgegen. Aus Sehnsucht nach dem Geld wird in der kapitalistischen Produktion die Ware nach dem Bilde der Sehnsucht des Käuferpublikums gebildet. Dies Bild wird die Werbung später abgetrennt von der Ware verbreiten.

Werk

Kapitel. 4 aus: Kritik der Warenästhetik, Frankfurt/Main 1971, S. 23 f.

Verweise

Siehe auch das Lexikon-Stichwort „Kritik der Warenästhetik“ von Haug unter: http://swiki.hfbk-hamburg.de:8888/NetzkunstWoerterBuch/33

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