Was ist das Besondere am deutschen Design?

Ein Gespräch mit dem Museumsdirektor Hufnagl

Herr Hufnagl, die Ausstellung „Weltmeister – Design Deutschland” findet parallel zur Fußball-WM statt. Wenn Sie einem Fan aus Brasilien erklären müssten, was deutsches Design ist…

… dann würde ich ihm sagen, dass es für perfektes Funktionieren steht, für Sachlichkeit und Reduktion. Deutsches Design schreit nur selten laut. Es drängt sich nicht auf, es will hochwertig und praktisch sein.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Da könnte man die fünf Milliarden Mal produzierte Mineralwasserflasche des Industriedesigners Günter Kupetz nennen. Die Flasche ist funktional gestaltet und im Vergleich mit der Coca-Cola-Flasche eher sachlich. Die noppenähnliche Struktur im verschlankten Mittelteil der Flasche soll zwar ein Sprudeln signalisieren, zugleich erfüllt sie die Funktion, die Flasche grifffest zu machen. Sie wird nicht aus der Hand rutschen, auch wenn sie feucht ist. Das ist das, was ich meine: Reduktion auf Funktion.

Woher dieser Hang zur Nüchternheit?

Nach dem Krieg wurde das hiesige Design fast ausschließlich von der Hochschule für Gestaltung in Ulm bestimmt. Dort wurde großer Wert auf gestalterische Zurückhaltung gelegt. Salopp ausgedrückt, stand „Made in Germany” lange Zeit für den „rechten Winkel” und das „feurige Mausgrau”. Die Gestalter, die aus Ulm kamen, arbeiteten bei Siemens und bei Braun und setzten dort die Standards für die nächsten Jahrzehnte. In Ulm wurde auch definiert, dass sich „technische Kompetenz” durch die Farbkombination Schwarz und Silber auszeichnet. Das finden wir heute immer noch bei vielen elektronischen Geräten. Mittlerweile hat deutsches Design diese Nüchternheit allerdings ein wenig abgeschüttelt. Es gibt eine immer stärkere, sichtbare Emotionalisierung.

Ist das so?

Die Automobilindustrie nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. Schauen Sie sich nur die Fahrzeuge von Porsche an. Anders als früher zeigen die Wagen heute auch äußerlich ihre Power. Aber auch das Design der letzten Modellreihen von Audi, BMW und Mercedes ist deutlich sinnlicher als früher. Die Emotionalisierung des deutschen Designs ist damit zu erklären, dass viele Unternehmen heute global vernetzt sind. Man reagiert auf die Bedürfnisse eines internationalen Marktes. Zudem entwickeln auch ausländische Designer deutsche Produkte.

Wird es irgendwann nur noch ein internationales Design geben?

Nein, dazu unterscheidet sich das Lebensgefühl der Deutschen und beispielsweise der Italiener zu sehr. Wenn Sie in Italien eine Möbelmesse besuchen, ist das ein Event. Dazu gehören immer auch Essen und Musik. In Deutschland ist eine Möbelmesse nur eine Möbelmesse. Die Sinnlichkeit der Italiener und die Sachlichkeit der Deutschen werden sich nie völlig angleichen.

Wenn umgangssprachlich das Attribut „Design” verwendet wird, meint man damit meist, dass es sich wie bei der Designerjeans um etwas Teures handelt. Hat die Designer-Zunft ein Imageproblem?

Durch die inflationäre Verwendung des Wortes ist bei vielen Menschen tatsächlich ein falsches Bild entstanden. Entschuldigen Sie, aber ein Friseur bleibt ein Friseur. Und ein „Hair Designer” ist nicht nur eine grauenvolle Wortschöpfung, sondern auch inhaltlich Schwachsinn. Ein Designer ist ein Formgeber. Er gestaltet Produkte, formt die Welt. Das wird meist vergessen: Nicht nur die Designercouch, jedes industriell gefertigte Produkt, das es gibt, wird gestaltet. Gutes Design muss nicht teuer sein.

Was zeichnet gutes Design aus?

Der Altmeister des italienischen Designs, Ettore Sottsass, hat auf die Frage, was Design ist, mal mit einer Handbewegung geantwortet. Er hat auf den Bereich unterhalb der Gürtellinie gezeigt, dann auf sein Herz und auf seinen Kopf. Gutes Design spricht alle Sinne an: den Verstand, das Herz und natürlich auch den Sex. Design vor allem die Funktionalität erhöhen. Nehmen Sie die Ceran-Kochplatte. Hitze ist eigentlich nicht sichtbar. Aber die Platte leuchtet rot, wenn sie in Betrieb ist, damit die Menschen wissen: „Feuer! Es ist heiß.” Gutes Design sollte auch dafür sorgen, dass ein Produkt lange hält. Es kann aber auch nur schön sein. Nehmen Sie nur den iPod. Die Technik würde es erlauben, ihn deutlich kleiner zu machen, aber das ist gar nicht gewollt. Am iPod zeigt sich die aus wirtschaftlicher Sicht wichtigste Funktion von Design. Und die wäre? Das Design schafft ein Alleinstellungsmerkmal, erst durch sein Design unterscheidet sich der iPod von der Konkurrenz. Ein Unternehmen braucht allerdings Mut, um so ein Alleinstellungsmerkmal zu entwickeln. Nicht alles, was einzigartig ist, kommt auch beim Kunden an.

Wann droht der Flop?

Design geht immer dann in die Hose, wenn es zu aggressiv wird oder nicht zum Produkt passt. Ein Flachbildschirm, der wie ein Ufo aussieht, wird keine große Zielgruppe erreichen. Gleiches gilt für einen Sportwagen, der total sachlich ist. Aber es gibt auch Produkte, die einfach nur ihrer Zeit voraus sind.

Zum Beispiel?

Den „Wassily”-Stuhl. Der Bauhaus-Gestalter Marcel Breuer hat ihn Mitte der zwanziger Jahre entworfen. Aber niemand wollte den Stuhl kaufen. Erst mehr als vierzig Jahre später ist er zu Weltruhm gelangt, als ein italienischer Möbelhersteller ihn neu auflegte. In den zwanziger Jahren war der Stuhl noch zu weit entfernt von den damaligen Formvorstellungen. Erst in den sechziger Jahren war die Zeit reif für Breuers minimalistische Konstruktion aus Stahl und textiler Bespannung.

Was braucht ein gestaltetes Objekt, um zum Klassiker zu werden?

Für ein industrielles Produkt ist es heute wahnsinnig schwer, zum Klassiker zu werden. Denn dazu muss es die Zeit überdauern, uns lange begleiten. Die Zyklen, in denen etwas produziert und von uns benutzt wird, werden jedoch immer kürzer. Wie lang stand ein Siemens-Telefon früher in den deutschen Wohnungen? Und wie lange behalten Sie heute ein Handy?

Ist gutes Design auch Kunst?

Nein, Design ist Design und Kunst ist Kunst. Dabei sollte man es belassen. Gemein ist beiden, dass sie aus dem Gestaltungswillen des Menschen heraus entstehen. Aber Kunst ist frei und niemandem verpflichtet. Design ist ohne die Verpflichtung gegenüber einem Auftraggeber nicht vorstellbar. Das ist der Unterschied. Ebenso wie die Kunst ist das Design aber auch ein Spiegel der Gesellschaft, in der wir leben.

Was verrät uns die Ausstellung „Weltmeister – Design Deutschland” über unser Land?

Die Deutschen neigen ja dazu, sehr miesepetrig zu sein und ängstlich in die Zukunft zu blicken. Aber diese Ausstellung zeigt, dass dazu überhaupt kein Grund besteht. Von der Kinder-Schokolade über die Handkehrmaschine von Kärcher bis zur Stapelliege von Rolf Heide – es gibt nur wenige andere Länder, die in einer solchen Ausstellung von Alltagsgegenständen ein solch breites Spektrum auf so hohem Niveau zeigen können. Viele dieser Entwürfe sind nicht nur deutsche Standards, sie setzen auch international Maßstäbe.

Professor Florian Hufnagl ist Direktor der Neuen Sammlung, Staatliches Museum für angewandte Kunst der Pinakothek der Moderne in München.

Was bedeutet »preiswert und gut«?

Die vorgenannten Diareihen verdanken ihr Entstehen einer Ausstellung des Werkbundes Bayern, die im Münchner Stadtmuseum durchgeführt wurde. Man zeigte dort Dinge des Alltags, die aus breiten Sortimenten von Massenbedarfsläden stammten und aus denen überwiegend der Bedarf der Bevölkerung gedeckt wird. Die Dinge produziert man auch noch heute, und zwar in Serien, oft in Auflagen von Millionen, und sie werden neben zahllosen anderen Artikeln verwandter Funktion in Stapeln, Anhäufungen und Massen angeboten. Die Produkte sind überwiegend anonym, zumeist nicht an den Namen eines Entwerfers gebunden. Der Sinn, diese Objekte in einem Museum auszustellen und auch in diesen Diareihen zu zeigen, kann nur aus den Begriffen „preiswert“ und „gut“ abgeleitet werden, wobei die Aussage „preiswert“ den sozialen Faktor signalisiert, der erst in der Relation zur Produktleistung, die durch den Begriff „gut“ gekennzeichnet wird, seinen vollen Wert erhält. „Gut“ bezeichnet bei diesen Objekten aber nicht allein die gute Funktion, ein für den Preis angemessenes Material oder eine entsprechende Technik, sondern auch eine gute Form. Damit ist eine der Aufgabe entsprechende, selbstverständlich erscheinende, in sich ausgewogene Form zu verstehen, mit der man längere Zeit umgehen mag, die nicht von der Mode oder von Repräsentation bestimmt ist. Da es sich um Objekte handelt, die täglich im Haushalt Verwendung finden, die uns also sehr nahe sind, ist dieser Gesichtspunkt bei der Auswahl von Gebrauchsdingen nicht zu unterschätzen. Er ist ebenso wie „preiswert“ ein sozialer Faktor.
Leider besitzen die im Durchschnitt angebotenen Dinge nicht diesen Charakter. Die wirklich guten müssen mühsam gesucht werden, sind verdeckt durch die Masse von Misslungenem. Es ist deshalb das Ziel dieser Diareihen, demjenigen, der Dinge erwerben möchte, die ihm trotz niederen Preises längere Zeit Freude bereiten, zu helfen. Dahinter verbirgt sich eine weitere Absicht: Dinge, die aufgrund einer ausgewogenen Form längere Zeit benutzt werden können, die nicht mit dem Wechsel der Mode dem Abfall anheim fallen, tragen dazu bei, unsere natürlichen Reserven, wie Wasser, Energie und Rohstoffe, zu schonen. Sie helfen auch, die Abfallberge zu verkleinern, und sie helfen uns, sinnvoller zu leben.

Philippe Starck – Bewußtsein schwach

Wir sind eine möblierte Gesellschaft, wohlbestallt und eingerichtet, seßhaft und gewohnt zu wohnen, ohne noch zu fragen: wieso, weshalb, warum? Wir richten uns ein und sind doch verlassen von allen guten Zeitgeistern, Beratern und Magazinen: Für wen und auf was sollen wir uns einrichten? Gegen ungeliebte Nachbarn und Kollegen? Nach stilschlüpfrigen Trendsettern? Auf Empfehlung von Ärzten und Psychologen oder nur so aus dem Bauch?
Derart existentielle Entscheidungen wären sicher schwierig zu fällen, wenn sie uns überhaupt bewußt wären. Tatsächlich meinen wir, uns nach vernünftigen Erwägungen eingerichtet zu haben: nach bewährten Gewohnheiten, nach bestem Wissen und nach dem Geldbeutel. Eben jedem die Einrichtung, die er verdient!?

In unserem ungenauen Wissen über die Hintergründe eigener Vorlieben und Abneigungen für einzelne Gebrauchsgegenstände liegt die Chance der Marketingstrategen von Autofirmen und Möbelherstellern, Einrichtungshäusern und Geräteproduzenten. Das funktioniert nach den Gesetzen der Werbepsychologie – nicht anders, als mit anderen xbeliebigen Produkten, für die auf dem Markt geworben wird. Wenn aber ein Produkt aus der Masse des Warenangebotes emporsteigt, mit dem Adel ausgezeichnet, ein Designgegenstand zu sein, dann gelten neue Gesetzte. Nun nämlich findet der Verbraucher das Produkt nicht länger allein in Werbeanzeigen und Verkaufskatalogen, sondern zugleich in Museumssammlungen und Fachzeitschriften. Obwohl das Produkt nicht mehr und nicht weniger von Designern gestaltet worden ist, wie jedes andere auch, wird es nun – im Unterschied zu den anderen – als “Design”- Gegenstand, oder noch unbestimmter: als “Design” geführt. Journalisten und Museumsleute interessieren sich für seine Geschichte, seinen “Schöpfer” und seinen Hersteller, kurz: eine Story. Und wenn sie nichts hergibt, wird sie ein wenig ausgeschmückt. So wird die Sache persönlich und ist ideal geeignet für den identifikationsbesessenen Konsumenten, der nun endlich jenes familiäre Verhältnis zu den Dingen erhält, das er allein nie aufbauen konnte.

Obwohl in weniger als 5 % der deutschen Wohnungen sogenannte Designermöbel stehen, dreht sich die öffentliche Designdiskussion nur um sie. Während sich Museen, Galerien und Lifestyle-Magazine nur mit den vermeintlich Designgeschichte schreibenden Pionieren bechäftigen, nehmen sie das Wohnen der anderen 95 % kaum zur Kenntnis. Zu betrachten, was sich an Geschmack und Gestaltung in ihren vier Wänden abspielt und über Jahrzehnte allmählich wandelt, ist halt etwa so aufregend, wie einer Wanderdüne beim wandern zuzuschauen. Lieber vermessen die Designfachleute die Designgeschichte (wenn es sie überhaupt gibt), nach Schritten und Spuren großer Hersteller- und Gestalternamen und würdigen ihre Ideen und Schöpfungen. Sie vollbringen die bewundernswerte Leistung, ein Gesetz aufzuspüren, nach dem sich die Designgeschichte offenbar in Dekaden vollzieht, ein Zeittakt, nach dem alle Gestalter gestalten und alle Konsumenten konsumieren. So werden – auf Wunsch und Anfrage der um leichte Vermittlung bemühten Medien – sehr wortreich oder gerne auch in knapp formulierten Etiketten, aber in jedem Fall trennscharf die Stile der ” 60er”, “der 70er” und “der 80er” voneinander geschieden – als erlebte jeder Gestalter und jeder Nutzer von Produkten zu Beginn jedes Jahrzehnts einen kurzen, aber radikalen Umdenkungsprozeß.

Es ist leider so: Designinstitutionen haben gegenüber dem tatsächlichen Wandel der Designstile und -moden einen getrübten Blick. Würden sie wie Demoskopen nicht nur die besagten 5%, sondern das gesamte Warenangebot in Augenschein nehmen, würden sie nur einen allmählichen Wandel und die parallele Gültigkeit verschiedener Designstile registrieren.

Während der öffentliche Designdiskurs auf ‘große’ Namen beschränkt ist und – fernab von der gesellschaftlichen Wirklichkeit – in Museen, auf Podien und publizistischen Foren stattfindet, bleibt der 95 Prozent-Rest zwar unberücksichtigt aber denoch nicht unbeeindruckt. Im Gegenteil: da die Entwürfe, Prototypen und Produkte, die von den Experten als diskussionswürdige “Designprodukte” erachtet wurden, der Öffentlichkeit zumeist auf Sockeln, in Vitrinen und in edlen Katalogen präsentiert werden, sind sie der Beurteilung nach gewohnten, alltäglichen Maßstäben entzogen, denn es sind ja quasi Kunstgegenstände. Für deren Beurteilung braucht man, so hat man es immer wieder leidvoll erfahren, Vorwissen, Bildung und privilegierten Zugang. Was dem in Designfragen Unvorgebildeten bleibt, ist nicht reflektierendes Verständnis, sondern mehr oder weniger sprachloser Affekt: Ablehung oder Staunen, Ignoranz oder Ungläubigkeit.

Das DesignLab des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe ist eine neuartige museumspädagogische Einrichtung, in der Besucher in lockerer Gesprächsatmosphäre Gebrauchsgegenstände ausprobieren und ihre Empfindungen und Meinungen austauschen und differenzieren können. Die Erfahrungen dieses neuen Ansatzes haben gezeigt, welche Folgen die abgehobene Designdiskussion der Vergangenheit hat. Jugendliche und Erwachsene urteilen über Designgegenstände, im musealen Rahmen präsentiert, zunächst sehr affektbetont – auch über solche, die ihnen bereits aus dem Alltag bekannt sind. Erst wenn sie sie – im DesignLab – erproben, erfahren und begreifen können, differenzieren sich die Meinungen. Bezeichnend ist, daß die meisten Besucher vorwiegend Reaktionen zeigen, die dem Grundanliegen von Design, nämlich verständlich zu sein, entgegengesetzt sind. Sie betrachten die Produkte ehrfürchtig wie Kunstwerke, deren Gestalter sie nicht kennen und lehnen sie vielfach ab, weil sie sie für unpraktisch, häßlich und ihren Preis nicht wert erachten. Otl Aicher hatte eben recht, als er feststellte: “Kunstwerke sind fertig. Man kann sie in Museen abstellen. Design ist nicht sonderlich geeignet für Sammlungen. Es bewährt sich im alltäglichen Gebrauch.”

Das von Designexperten verursachte, wenn nicht zuweilen gar gepflegte Mißverständnis, Design hätte mit Kunst, Kommerz und Kennerschaft zu tun, böte keinen Anlaß zur Sorge, wenn es nur den kleinen Kreis beschäftigte, der sich mit teuren Designerprodukten umgibt. Doch die Stilisierung des Designs zur gehobenen Werthaltung und Lebenseinstellung hat weiterreichende Folgen, weil sie für die gesamte Gesellschaft Normen setzt, die viele Menschen nicht nachvollziehen können, weil sie irrational sind. Sie verstehen z.B nicht, warum die viel zitierte Fruchtpresse von Philippe Starck, ein offenbar “wichtiges” Designprodukt ist. Man braucht nämlich ein Wissen über Philippe Starck und die gelassene Einstellung, daß nicht jeder Gegenstand so funktioniert, wie seine Bezeichnung es erwarten läßt. Nur so kann man akzeptieren, daß die Fruchtpresse unverhältnismäßig teuer sein muß und man mit ihr kaum mehr anfangen kann, als Staub fangen, Fruchtkerne im Glas sammeln und frisch gepreßten Saft wegschütten, wenn das edle Gerät länger nicht benutzt wurde und die metallische Oberfläche giftige Stoffe absondert. Sie ist halt ein Kunstwerk, und dafür doch recht preiswert. Wer könnte es sich schon leisten, seine Orangen auf einer Skulptur von Giacometti auszupressen?

Designästheten leben halt nicht mit Ecken und Kanten, sondern mit Stilen und Namen, assoziieren Geschichten und Statements berühmter Persönlichkeiten und sind sogar in der Lage, die mangelnde Funktionstüchtigkeit beliebiger oder gar vulgärer Objekte zu kompensieren, indem sie sie stilisieren, getreu dem von Christian Morgenstern beschriebenen Ästheten.1

Nachgefragt: Was ist eigentlich Design?

Ein Interview mit Erik Schmid

Es gibt Begriffe, die uns immer wieder im Alltag begegnen, von denen aber niemand genau weiß was damit denn nun gemeint ist, oder was beschrieben werden soll. So steht es auch um den Begriff „Design“. Was ist Design? Wer designt? Was ist gutes, was schlechtes Design? Face2Face sprach mit Erik Schmid, Professor für Theorien zum Design und Studiendekan am Fachbereich Design der Hochschule Niederrhein, um herauszufinden, was gemeint ist, wenn jenes ominöse Wort benutzt wird.

Der Begriff „Design“ ist für die meisten Menschen recht abstrakt. Alles und Nichts wird mit dem Etikett „Design“ versehen. Wie lässt sich Design zum Beispiel von Kunst abgrenzen??

Schmid: Design ist ein flacher Begriff – zu Recht! Schließlich pflegt ihn ja niemand. Ja, man muss Begriffe auch geistig und sprachlich pflegen und reinigen, wenn sie sauber bleiben sollen. Übrigens ist der Begriff Design in Deutschland recht jung. Wir haben das Wort Design erst nach dem 2. Weltkrieg importiert. Davor sprach man von Gestaltung, industrieller Formgebung et cetera und heute fällt jeder über das Wort Design her, von den Nagelstudios über die Friseure bis hin zu den Partyservices… Mit der Kunst ist das ähnlich. Mit der Philosophie auch, die hat ja inzwischen jeder Fußballverein. So ist das heute. Wissenschaftler nennen das Ausdifferenzierung, Deutschlehrer Verflachung, andere schlicht Schwachsinn.
Aber zur Sache: Man sagt, Design müsse einen Nutzen haben, Kunst nicht, was aber so nicht ganz haltbar ist. Kunst nützt ja auch. Besser so: Design wendet sich dem praktischen Leben zu, das muss die Kunst nicht. Design bedient sich dabei künstlerischer Mittel, ist aber auch sehr stark in sich stets neu formierende Projekte verhaftet. Im Wesentlichen soll Design die Welt praktisch besser und sinnlich schöner machen. Dazu gehören gestalterische Fertigkeiten, technisches Knowhow und team- und projektbezogenes Arbeiten. Genau dieser wandelbare und oft scheinbar widersprüchliche Kontext macht Design spannend. Der Kunstkontext wandelt sich auch, ist aber institutionell konstant und überschaubar: Künstler, Museen, Galerien und Sammler! Letztlich müssen Designer Brücken zwischen sich wandelnden Interessen, Disziplinen und Menschen bauen, um Ihre Vorstellungen durchsetzen zu können. Das kann man nur, wenn man komplex denken kann, dabei aber die Komplexität eines Projektes immer so niedrig wie möglich hält, was oft sehr schwierig ist. Anders ausgedrückt: Formale Gestaltung ist nur ein Teil, dazu gehört aber immer das ganze Leben, Verantwortung für die Gesellschaft und die Zukunft. Wer da den Überblick und die Durchsetzungsfähigkeit mit sinnvoller Gestaltung verbindet, ist ein guter Designer. Ganz kurz: Künstler müssen immer auch wollen sollen, Designer müssen immer auch können sollen.

Wie viel Bauhaus-Geist und Handwerksarbeit steckt heute noch im Design??

Schmid: In der Ausbildung eine ganze Menge. Wir verdanken der Bauhaus-Lehre die bis heute gepflegte und sinnvolle Einheit von Kunst und Handwerk, wenngleich viel Handwerk heute ins CAD [Anm. d. Red.: Computer-aided design] geflossen ist, was jedoch auch nichts anderes ist, als ein Werkzeug. Ansonsten ist die nach außen hin dargestellte Homogenität des Bauhaus-Designs eine sehr verkürzte Darstellung. Das Bauhaus wurde von vielen verschiedenen Künstlern getragen, die sehr unterschiedlich gewirkt haben. Etwas, was auch bis heute nachwirkt: Dass die Vielfalt der teilweise über Kreuz liegenden Positionen sich sehr fördernd auf begabte Studierende auswirkt. Bauhaus-Design hat historische Maßstäbe gesetzt und die künstlerische Moderne in den Alltag gebracht, ist aber heute auch ein Modelabel geworden, auf dem Zahnärzte und „Ikea“ genauso surfen wie Designer und Lifestyle-Zeitschriften, wenngleich viele Prinzipien so gut sind, dass sie immer wieder aufgegriffen werden können und vielleicht auch müssen.

In Ihrem Aufsatz „Design, Erfolg und Verantwortung“ sagen Sie „Ein im Atelier oder gar am Schreibtisch entworfenes Produkt taucht erst sehr viel später und eventuell weit weg vom eigenen Erfahrungsbereich auf.“ Wie absehbar ist da der Erfolg oder Misserfolg eines Produktes? Kann Design überhaupt diesen Ansprüchen genügen??

Schmid: Was ist Erfolg im Design? Das muss jeder Designer selbst klären. Ob er anderen Leuten helfen will, deren Geld zu vermehren oder ob er die Welt besser und schöner machen will. Ob er mit Marketing oder mit Menschenbildern, mit Muse oder mit Müsli arbeiten will… In meinem Aufsatz versuche ich klar zu machen, dass es nicht nur um’s Geld verdienen gehen kann, weil sonst Design ja nur als Handlanger der Ökonomie dient. Für einen Widerspruch halte ich das nicht, wenn man Schönheit und auch wirtschaftlichen Erfolg verknüpft. Denn Schönheit schlägt oft sogar Wahrheit! Aber gestalterische Ziele sollten immer vor ökonomischen Zielen stehen. Um das auch umfassend erreichen zu können, gehört auch eine Geschmackserziehung in der Schule, die sträflich vernachlässigt wird, weshalb ich dringend mehr ästhetische Bildung einfordere! In der geistigen Entwicklung der Sinne liegt ein gewaltiges Weltverbesserungspotenzial. Denn die meisten Fehler beginnen schon recht früh mit Wahrnehmungsfehlern! Ich plädiere deshalb auch für eine engere Kooperation zwischen Wissenschaftlern, Ökonomen, Technikern, Designern und Künstlern. Denn jeder für sich hat nur einen Tunnelblick, der viel zu wenig komplex ist für eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. //weiterlesen… 1

Industrial Design – Fragen und Antworten

In den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts sprach man in Mailand und London von designo und design. Damals waren sich die Maler und Literaten ziemlich einig, was mit diesem Wort gemeint war. Heute nach genau 400 Jahren, weiß man es nicht mehr so genau. Bücher und Aufsätze in gelehrten Kompendien, Ausstellungskataloge und Zeitschriften, Institute und Gremien befassen sich sozusagen hauptamtlich mit seiner Analyse und Exegese. Die Schöpfer des Industrial Design (= ID = Industrieform) sind zu Abertausenden in Duzenden von Ländern tätig, ein Großteil der sogenannten westlichen Welt ist täglich mit Gegenständen des ID konfrontiert − und die Kunsthistoriker, Medienforscher und Soziologen sind sich über den Begriff eigentlich immer noch nicht ganz einig. (Herbert Reads kluges und klares Buch „Art and Industry“ von 1934 ist eine Wohltuende Ausnahme!).
Das Oxford Dictionary datiert die erste bekannte Erwähnung des Wortes design − ein englisches Wort, das im 20. Jahrhundert von den Amerikanern usurpiert und dann Allgemeingut wurde − auf das Jahr 1588: Ein von Menschen erdachter Plan oder ein Schema von etwas, das realisiert werden soll; die erste Konzeption einer Idee, die durch eine bestimmte Handlung in die Tat umgesetzt wird.Ein erster zeichnerischer Entwurf für ein Kunstwerk…(oder) ein Objekt der Angewandten Kunst, der für die Ausführung eines Werkes verbindlich sein soll.

Der lombardische Künstler Maler Giovanni Paolo Lomazzo verlegte sich nach seiner 1579 erfolgten Erblindung auf das Schreiben kunsttheoretischer Schriften. In seinem 1584 in Mailand erschienenen „Trattato dell’arte della pittura“ und in dem 1590 herausgegeben Werk „Idea del tempio“ wird das designo interno zur im Künstler geborenen und von Gott inspirierten idea, zum Konzept für das auszuführende Kunstwerk. Auch Frederico Zuccari widmet 1607 diesem designo interno, als Vorstufe zum designo esterno, eine längere Betrachtung.
Im Ausstellungskatalog des Züricher Kunstgewerbemuseums von 1983 „Design − Formgebung für Jedermann“ heißt es: „Design wird als ein Vorgang verstanden, der Entwürfe bringt für die Herstellung von Serienprodukten und industrialisierten Methoden und Systemen.“ Diese neue Definition neueren Datums unterscheidet sich prinzipiell nicht von der des 16. Jahrhunderts.

Schwieriger muten die Versuche einer Begriffsbestimmung heutiger Kritiker und Soziologen an. So schreibt Gert Selle in der Einleitung zu seiner „Ideologie und Utopie des Designs“ von 1973 (DuMont): „… vor allem für jene Leser, denen sich das Industrial Design bisher noch nicht gesellschaftlich problematisiert dargestellt hat, ist dieser Kontext in einer bestimmten Weise zum Verständnis strukturiert“ (S.7). Wenn dann die Leser zum Kapitel VII, 2 kommen, das da lautet „Kritik der „konkreten Utopie“ als Konkretisierung der Utopie des Gestaltens“, werden zumindest einige von ihnen sich fragen, ob ein derart dunkler Wort-Mäander die aktuelle Sprache des Design von heute sein soll. Da lobt man sich die sprachliche Klarheit der Kunsttheoretiker des 16. Jahrhunderts oder die lapidaren, weniger spekulativen Katalogtexte der Kustoden für Design am New Yorker Museum of Modern Art oder in Zürich.

[…] Design kann Konzept, Entwurf, prima idea oder designo interno eines Künstlers oder „Entwerfers“ sein, erdachte Vorstufe zu einem in die Tat umzusetzenden Werk. Industrial Design ist heute der Oberbegriff für eine bestimmte Gruppe von Serienerzeugnissen, die sich anscheinend qualitativ vom gesamten Ausstoß industriell gefertigter Ware abhebt, chronologisch begrenz ist und dem täglichen Gebrauch dient. Chronologisch: in Europa nach 1900/1910, in den Vereinigten Staaten seit den 20er Jahren. Qualitativ: zumeist innovative , im Hinblick auf formale und funktionelle Merkmale sorgfältigentworfene und möglichst handwerklich einwandfrei gefertigte Gebrauchsgüter des täglichen Lebens, vom Stuhl bis zur Uhr, vom Kochtopf bis zum Radio, vom Türgriff und der Tanksäule bis zur Lampe und dem Auto. Tendenz: formschön, materialgerecht, in die Zukunft weisend, einfach und dennoch elegantschmissig (wobei die Grenzen zwischen dem so verstandenen ID und dem allgemeinen Kaufhausangebot seit 1920 oder 1950 oft fließend sein können).
„Vorbildliches Design“ kann allerdings auch usurpatorische Züge annehmen. Das Primat der reinen Form, das Diktat der klaren, geometrisch geführten Linie, das Ideal stereometrischer Körper haben seit den 20er Jahren unsere Umwelt optisch so nachhaltig zu prägen vermocht, dass man fast von der zum Teil gerne geduldeten Tyrannei eiskalter „Funktionalität“ sprechen kann. Frank Lloyd Wright, Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Le Corbusier: Die großen Architekten unseres Jahrhunderts, mächtige Beweger, einflussreiche Designer und Inspiratoren, zogen einen Epigonentum von gewaltigem Ausmaß nach sich. Die von ihren Bauten abgeleitete Architektur hat weltweit zu fürchterlichen Exzessen geführt − eine faszinierende Verirrung das heutige Hongkong! Auch die „Gute Form“ oder „Scandinavian Modern“ zeigt oft eine von jeder lebendigen Inspiration abgelösten Charakter, dessen Blutleere dem 7. Aufguss einer in Weimar oder Dessau geborenen Idee der 20er Jahre zu verdanken ist. Dieses Primat eines funktionellen und „objektivierten“ Stils kann fast als Kolonialismus gelten, dem alle Länder, die sich westlichen Schemata anzugleichen suchen, zu verfallen scheinen: die hoch oder querrechteckige Schachtel in 10- oder 50facher Geschosshöhe, die eine Linie undekorierten Rosenthal-Tellers, die geometrische Klarheit der finnischen Lampe und des Breuer-Stuhl- Nachbaues.

Das alles kann fast so schlimm sein wie der plüschige Historismus, nur weniger anheimelnd für den normalen Erdenbürger! Befreiung vom Zwang des „modernen“ Stils tut ebenso Not wie die Ablösung von wilhelminischer Gediegenheit und dem so verächtlich apostrophierten Gelsenkirchener Barock. Einen neuen, wenn auch recht schmalen Pfad betraten die „Jungen Wilden“ des zeitgenössischen „lebendigen“ Designs, symbolisch durch Gruppen wie Memphis: spielerische und phantasievolle Romantisierung der Umwelt, wobei die Klippen der Manieriertheit nicht leicht zum umschiffen sind. Quellen-URL: https://designwissen.net/seiten/industrial-design-fragen-und-antworten

Der Konsum, die Form, das Ding

Die Evolution des Designs in der Gegenwart

„Design als auf das Ego angewandte Kunst erzeugt an seinem smarten Träger ein hochaktuelles Kompetenzbündel aus Tempo, Information, Ironie, Geschmack und zweiter Rücksichtslosigkeit.“

Aus: Peter Sloterdijk, Das Zeug zu Macht. Bemerkungen zum Design als Modernisierung von Kompetenz (2006)

„Sein heißt heute ersetzbar sein. Alles was ist, wäre auch anders möglich.“

Aus: Norbert Bolz, Absolutheitshunger, SWR II, 11.11. 2008

„Die Götter, die aus dem Himmel der Religionen verdrängt wurden, kehren als Idole des Marktes wieder. Werbung und Marketing besetzen die vakant gewordenen Stellen des Ideenhimmels. Düfte heißen Ewigkeit und Himmel, Zigaretten versprechen Freiheit und Abenteuer, Autos sichern Glück und Selbstfindung. Mit einem Wort: Marken besetzen Werte, um sie schließlich zu ersetzen.“ Der Kontext, in dem heute Künstler und Designer operieren, ist ohne Zweifel ein sehr profaner geworden: Konsum – so heißt bekanntlich die alte neue Droge, die unsere funktional differenzierte Gesellschaft vorantreibt und die ohne das Design des 20. Jahrhunderts so nicht realisierbar gewesen wäre. Die konsequente Form des Konsums ist einerseits der Tod, der „definitive Verbrauch der Dinge“ und andererseits das Begehren, immer wieder das Unterschiedliche, „Neue“, zu produzieren – hier spielte und spielt das Design eine herausragende Rolle. Ähnlich wie der Film zu Beginn des 20. Jahrhunderts das paradoxe Phänomen der „personality“ kreierte, so erzeugt der Konsum die kalte Aura der Dinge – einen alles umfassenden „lifestyle“ ohne den das Design nicht zum dem geworden wäre, was es heute ist.

Während der Künstler, so Boris Groys, als ein „exklusiver Konsument anonym produzierter und in unserer Kultur immer schon zirkulierender Dinge“ auftritt, bewegt sich der Designer zwischen einem luxuriösen Innovationskult, der kritischen Kommentierung des Konsumgeschehens und dem gleichzeitigen Verlangen jenseits von diesen Wegen einen eigenen Dritten zu finden. Es stellt sich heute die Frage, wie Designer arbeiten, wenn sie die Autonomie ihrer Formen mit der kritischen Orientierung an der Konsumsphäre verbinden. Kein ganz leichtes Unterfangen: wie findet ein Gestalter seinen jeweils eigenen Nullpunkt und überschreitet er diesen? Wie unterläuft heutiges Design die heutigen „Routinen der Innovation“ (Dirk Baecker)? Wie fiktional werden heute Funktionen gestaltet und wie funktional operiert man heute innerhalb von fiktionalen Kontexten? Aus welchen Kontexten kann man ausbrechen, ohne nicht gleich in neuen eingeschlossen zu werden? Wie lassen sich heute Informationen mit Dekorationen, Nützlichkeit mit Nonchalance, Luxus mit Leichtsinn kombinieren? Wo liegt die Grenze, an der Kommunikation des Konsums in die Verwertung selbst noch einer gestalteten Null umschlägt? Liegt eine Funktion des Designs etwa in der Utopie nicht mehr produziert werden zu müssen?

Die Frage, wie sich Kunst und Design unterscheiden, ist eigentlich historisch obsolet, weil längst alle Formen von Gestaltungen funktional verwendbar sind und alle Funktionen innerhalb dieser materiellen Kontexte auch dysfunktional (irrational, subversiv, subjektiv, maßlos etc.) gestaltet werden können. Und gleichzeitig wissen wir seit Marcel Duchamps ready-mades weder genau, was wir uns unter Nicht-Kunst noch unter Nicht-Design vorstellen können. Es macht deshalb umso mehr Sinn, nach übergreifenden Problemen der beiden so unterschiedlichen Medien zu suchen. Bereits 1992 kennzeichnete Walter Grasskamp die damals sich bereits abzeichnende Dysfunktionalität des neuen Designs in Relation zum Kunstgeschehen hellsichtig und knapp: „Disfunktionalität erhöht den Ausstellungswert.“ Offensichtlich lautet das gemeinsame Problem von Kunst und Design, wie sie jeweils mit der Dysfunktionalität und Ambivalenz zwischen Kommunikation und Konsum, zwischen Funktion und Fiktion umgehen. Dysfunktional ist nicht nur ein Medium, um Aufmerksamkeit in einer Masse von ähnlichen Medien zu erregen, dysfunktional operiert der Künstler/Designer, indem er von einem scheinbar geläufigen in einen fremden, anderen Kontext springt und so einen Unterschied markiert.

Die mit dem Medium Kunst entwickelten Konzepte wie Autonomie, Wahrheit und Einmaligkeit führen heute zu der Vorstellung etwas Unbezahlbares erwerben zu können. Das neue Design unterwandert und steigert diese einseitige Spekulation, ja führt diese zu einem Nullpunkt. Wenn Design weder den Massenkonsum noch das Luxusbedürfnis einiger Weniger bedienen will, wohin genau geht dann die Reise?

Der „Nullpunkt“ des Designs beschreibt, abstrakt formuliert, eine Auseinandersetzung, indem dieser unterscheidet, wie er Altes und Neues, Funktionen und Fiktionen aufeinander bezieht und wie er formuliert, wie er den Kontext einer Gestaltung gestaltet, der seinerseits alte Formen durch neue Fiktionen ersetzt. Indem die früher funktionalen Formen mit fiktiven Formaten kombiniert werden, werden Unterscheidungen zwischen Funktionen und Fiktionen durch Formen von Dingen als hyperreale Gestaltungen ersetzt, wird die äußere Gestalt durch eine jeweils relativierende Form einer rekursiven Beobachtung ersetzt. Kontext ist jetzt das, was zwischen Formen und Funktionen sowie zwischen Dingen und Fiktionen entsteht.

Als eine hybride Form von Nicht-Kunst ist Design heute einzigartig anders und reproduzierbar – es generiert Formen, die sich aus neuartigen Formen von Kombinationen und Unterscheidungen erzeugen lassen. Design definiert sich durch seine indirekte Beziehung zur Kunst als zeitgenössische Form der Nicht-Kunst – was sie für den Kunstkontext um so attraktiver macht. Und es unterscheidet sich durch das, was es nicht mehr ist (etwa eine funktionale, angemessene, Gute Form) und was es allem Anschein nach immer mehr wird: eine Form, Unterscheidungen zu realisieren. Als Form ist das Medium Design offensichtlich dafür prädestiniert, die Vielfalt ihrer eigenen Ambivalenzen mit der Paradoxie, sich selbst als Ort von Widersprüchen zu begreifen, kombinieren zu können.

Design bezieht sich immer mehr auf eine Weise der Gestaltung, die in den Innenraum des Betrachters verlagert wird. In der Moderne will das Design „den Blick des Betrachters so gestalten, dass er fähig wird, die Dinge selbst zu entdecken.“ Das funktional orientierte Design der Moderne stellt dabei das Subjekt vor die Frage „wie es sich manifestieren will, welche Form es sich geben will, wie es sich dem Blick des Anderen präsentieren will. (…) Mit dem Tod Gottes wurde das Design Medium der Seele.“ Nicht mehr sei der Körper das Gefängnis der Seele, sondern im Design des Äußeren manifestiere sich eine Offenbarung des verborgenen Inneren, so Boris Groys. „Wo Religion war, ist Design geworden.“

So wie das moderne Design die Form der direkten Gestaltung von Objekten auf die indirekte Kommunikation zwischen Menschen und Dingen bzw. zwischen Dingen und Menschen verlagert, so erweitert die Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch einen grundsätzlichen Kontextwechsel indirekt ihre ästhetische Funktion. Mit der Verschiebung einer industriell produzierten funktionalen Form in den Kunstkontext begann Marcel Duchamp zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Medium Kunst zu unterwandern und den unbekannten Kontinent der Nichtkunst zu markieren. Das ready-made ist bis heute das einflussreichste Nullpunktmedium des 20. Jahrhunderts.

Kunst und Design sind bekanntlich seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts keine realen Gegensätze mehr, sondern spiegeln eher ein Steigerungsverhältnis zwischen diesen historischen Bezugsgrößen. Bestimmte Dinge der Kunst – man denke etwa an einen Regenschirm, eine Pfeife oder eine Brillo-Box – sind Objekte, die wir beobachten, weil sie neuartige Relationen zwischen Kunst und Leben stiften; die Gegenstände des Designs sind Formen, die wir rekursiv auf uns beziehen, weil wir sie unter anderem auch real nutzen oder nicht nutzen können. Claes Oldenburgs legendäres „Bedroom ensemble, Replica I“ (1969), aber auch die irritierenden Möbel-Skulpturen eines Franz West oder funktionalen Fiktionen eines Richard Artschwager schaffen für die Betrachter Einblicke in ein Ambiente, dass die Wohnung zu einem Ort anonymer Unwirklichkeit verwandelt. Design funktioniert heute gerade im Kunstkontext, indem sie unsere tradierten Vorstellungen von Authentizität und Autonomie unterwandert; Kunst wird zu einem Effekt ihrer Beobachtung, in der „Gestaltung“ plötzlich einen anderen Stellenwert erhält.

Der Schnittpunkt, an dem heute beiden Größen aufeinander treffen, ist heute – kalt und abstrakt gesagt – ein noch zu formulierender Kontext. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Das Kombinieren von scheinbar Unvereinbarem (etwa von Formen und Fiktionen), das Austauschen von Funktionen und das Modellieren mit selbst Nicht-Sichtbarem verweisen darauf, dass buchstäblich alles und jederzeit als veränderbar definiert wird. Nichts veraltet so schnell wie die „finale Version“, an der heutige Bild- und Textproduzenten gerade basteln. Die Schere zwischen dem Faktischen und dem Veränderbaren öffnet sich und die wechselseitige Veränderung beider Größen – in diesem Fall Kunst und Design – wird zum eigentlichen Thema und Programm, dass sich ereignet und das nicht nur betrachtet, sondern auch gelebt und gestaltet werden will. Auf diese Weise werden auch das Museum und die Galerie neu definiert: nicht mehr ortsgebundene specific objects stehen im Raum, sondern vor allem diverse Optionen, die das Betrachten und das Kombinieren, das Bewerten und Vergleichen von Relationen unerwartet und anders als geplant aufeinander beziehen. Wo so die früheren funktionalen Maßstäbe und Methoden des Designs wegbrechen, eröffnen sich neue Räume der Selbsterkundung. Zwischen den Oberflächen von Objekten und den Kompetenzen von Autoren und Betrachtern kommt es zu einem tendenziell endlosen Redesign – eine historische Tatsache, die das Design bis heute vorantreibt. Form follows future – auch und gerade wenn diese noch nicht eingetroffen ist.

Design verkörpert eine imaginäre black box, die uns, wie Peter Sloterdijk in seinem Essay “Das Zeug zur Macht (2006)” vorausschauend formulierte, eine „gekonnte Abwicklung des Nicht-Gekonnten“ vorgaukelt, aber auch und vor allem eine vielfach spiegelnde (Benutzer-)Oberfläche, die uns irritiert, weil sie etwas ankündigt, was unser Verhältnis zu den Objekten und damit auch zu uns selbst reflektiert. Die gleichsam automatisch sich vollziehende, evolutionäre Selbstorganisation wird heute zu einem herrschenden Paradigma. Das postmoderne Design, so der Philosoph und Medientheoretiker Nobert Bolz in seinem Band BANG DESIGN. Design-manifest des 21. Jahrhunderts, setze nicht mehr „am Objekt, sondern an den Emotionen an. Die Form folgt dem Gefühl des Konsumenten, nicht der Funktion der Sache.“ Design ist offensichtlich ein zentrales, Idenität schaffendes Medium unter vielen anderen anonymen Medien der Darstellung geworden. „Das Neue ist das Gegenteil dessen, was jetzt gilt“ formulierte Beat Wyss anlässlich der Documenta 12 den Innovationszwang der westlichen Kunstevolution. Das Veränderbare ist das Medium der Beobachtung im Medium des immer noch Formbaren – könnte man entsprechend für den Kontext der Designevolution schlussfolgern.

Ohne Zweifel verändert das Design der Dinge, wie es sich uns in virtuellen Oberflächen und realen Kunstlandschaften präsentiert, unseren Umgang mit den Dingen und unseren Umgang mit uns selbst. Da das heutige Ich zunehmend mit und durch Apparate kommuniziert und „in Echtzeit Entscheidungen treffen“ muss, verliert das Selbst seine eindeutige Identität und gerät in die endlosen Schleifen elektronischer „Selbstinformierung“.

Wenn, wie in der Moderne, die Kopie der Kopie als Bild eines reproduzierten Originals erscheint, verlieren beide Grössen ihre historische Aussagekraft. Die Aura des Einmaligen, von der Walter Benjamin noch träumte, ist heute höchstens noch in speichbaren Dateien präsent. Design als eine grundsätzlich alles reproduzierende Form und Formel ist heute Bestandteil eines Kontextes, der selbst das alte Medium Kunst einschließt; als digital berechenbare Information und als unberechenbares offenes Muster entdeckt heute Design ihre eigene Evolution – und eine Form des Versprechens. Das Kunstwerk, schreibt Niklas Luhmann in seinem 1986 veröffentlichten Aufsatz „Das Medium der Kunst“, „muß etwas sein, was es nicht bleiben kann, und entsprechend muss der soziale Kontext der Kunst reorganisiert werden.“

Auf dem Meer der Möglichkeiten wird jeder – und nicht nur der Künstler/Designer – immer irgendwann seine eigene Welle finden, die ihm neuen Auftrieb verleiht.

Der Industrial Designer als Kreativer

… Die Forderungen der Unternehmensleitung an den Industrial Designer sind vielfältig … Vor allem wird von einem Industrial Designer die Fähigkeit erwartet, neue Lösungen für Industrieprodukte zu produzieren. Der Industrial Designer kann somit als Ideenproduzent betrachtet werden, der Informationen zum anstehenden Problem aufnimmt, diese verarbeitet und in brauchbare Problemlösungen überführt. Neben intellektuellen Fähigkeiten, d. h. Fähigkeiten, Informationen zu sammeln und diese in verschiedenen Situationen zu gebrauchen, bedarf es kreativer Fähigkeiten. Wie bei allen kreativen Personen (Künstlern, Wissenschaftlern usw.) äußert sich die Kreativität des Industrial Designers darin, dass er, aufbauend auf Wissen und Erfahrung, gegebene Informationen zu einem Problem zu verknüpfen und neue Beziehungen zwischen diesen herzustellen vermag. Voraussetzung dafür ist, dass bekannte Sachverhalte aus anderen Perspektiven betrachtet werden, die Sicherheit des Bekannten und Bewährten verlassen und das Wagnis eingegangen wird, neue Antworten zu einem Problem zu suchen, die den bekannten Bezugsrahmen erweitern. Die Forderung an den Industrial Designer, originell zu sein, Produkte zu entwerfen, die von den bisher bekannten abweichen, wurde bereits mit dem Zwang zum Neuen begründet, dem viele Hersteller von Industrieprodukten durch die Konkurrenzsituation im Markt unterliegen. Damit der Industrial Designer der Forderung nachkommen kann, originelle Ideen zu einem Problem zu entwickeln und diese im Designprozess in ein Gebrauchsprodukt mit ungewöhnlicher Erscheinung zu überführen, bedarf es verschiedener Voraussetzungen.

Das Wissen über einen Sachverhalt oder über ein Problem ist die Voraussetzung, auf der alle Aktivität des Industrial Designers aufbaut. Daher ist es von großer Bedeutung für die angestrebte Problemlösung, alles verfügbare Wissen zu sammeln und auszuwerten. Je vieldimensionaler ein Problem angegangen wird, desto mehr Verknüpfungen sind zwischen den Einzelaspekten möglich, und es erhöht sich dadurch die Wahrscheinlichkeit, zu neuen Lösungen für Produkte zu gelangen.

Um Wissen und Erfahrung im Designprozess anwenden zu können, muss der Industrial Designer über ein gewisses Maß an Neugierde und Wissensdrang verfügen, das sich in der Aufgeschlossenheit der Außenwelt gegenüber zeigt.

Zu einem bestimmten Zeitpunkt aber muss der Industrial Designer beim Entwurf von Industrieprodukten auch für einige Zeit alles Wissen ausklammern können, um durch schöpferisches Handeln neue Einblicke in bekannte Dinge zu gewinnen. Daher gehören zu den Voraussetzungen auch Naivität und Spontaneität. Gerade weil der kreative Industrial Designer jederzeit auf das erarbeitete Wissen zurückgreifen kann, wächst die psychologische Sicherheit, die es ihm ermöglicht, das Wagnis des Ungewissen einzugehen.

Form will follow foquismo!

Der belgische Kultur- und Designpublizist Max Borka lehrt Design, Kunst und Architektur an der Akademie in Gent, Belgien. Sein unkonventioneller und interdisziplinärer Blick stellt hintersinnig Sinn und Un-Sinn von “Designmessen, -ausstellungen, -biennalen, -zeitschriften, -büchern, -was-auch-immer” in Frage.

„Das Design der Zukunft wird fantastisch, furios, fabelhaft und fabulös. Es wird fanatisch sein und sich mit Superheldenkräften in den Kampf Gut gegen Böse stürzen. Es wird die Frage nach dem Sinn und dem Zweck seines Daseins stellen. Es wird uns den Mittelfinger zeigen, nackt durch den Wald rennen und die Welt retten.“

Jerszy Seymour

Das einzig gute Design wird schlechtes Design sein. Es wird sich sogar allergrößte Mühe geben, so schlecht wie möglich zu sein. Es wird der Tyrannei von all dem den Krieg erklären, was von Konsumgesellschaft und Industrie als gutes Design angepriesen wird: glatt, glamourös, luxuriös, oder einfach praktisch, gutaussehend und höchst verführerisch, aber auch gefährlich, sogar tödlich – „les Formes Fatales“.

Der gute Geschmack von morgen war immer ein Nachkomme dessen, was gestern noch als total geschmacklos galt. Oder, wie der große alte Mann des Anti-Design, Ettore Sottsass, sagt: „Die wahren Neuerungen stammen immer von Huren und Zuhältern“ – ein Statement, das wieder einmal bestätigt wurde, als einige der extremsten kulturellen Phänomene des vergangenen Jahrhunderts, nämlich Vivienne Westwood, ein unbekannter Verbrecher mit dem Namen Johnny Rotten, seine Sex Pistols und der Punk aus Malcolm McLarens „Sex Boutique“ in der King’s Road katapultiert wurden.
Design und schlechter Geschmack schienen geradezu füreinander bestimmt zu sein, als ersteres vor fast zweihundert Jahren als uneheliches Kind geboren wurde – die industrielle Revolution als irgendwie nuttige Mutter mit zahllosen Liebhabern: Physik, Politik, Psychologie, Soziologie, Philosophie, Theater, Dichtung und Krieg, alles dabei, von Adel bis Abschaum. Keiner von ihnen konnte die Vaterschaft für sich beanspruchen, aber sie alle hinterließen während der Bildungsjahre dieses Kindes ihre Spuren. Dies versetzte das Design in die Lage, sich mit einfach allem zu befassen, während sein Status als Bastard ihm die Street Credibility erhielt. Bis das Marketing die Vaterschaft für sich reklamierte, alle Mitbewerber verjagte und den Jungen zu einem selbstgefälligen Dandy machte.
Letzteres kann auch erklären, warum das Design heute beliebter und mächtiger ist denn je. Vor allem in jüngster Zeit weitet sich sein Einflussbereich, gesteuert von der Industrie, immer weiter aus und wird so sehr globalisiert, dass Design ein generischer Ausdruck für all das geworden ist, was unser Dasein in jeder Hinsicht bestimmt – sei es in der Form von Dingen, Vorstellungen, Strategien oder Strukturen.
Im Kielwasser seines Erfolgs wächst die Anzahl an Designmessen, -ausstellungen, -biennalen, -zeitschriften, -büchern, -was-auch-immer, in rasantem Tempo. Die meisten davon sind austauschbar, der einzige Unterschied liegt in ihrer Größe und in den Mitteln, die sie zur Verfügung haben, um ihre Macht zur Schau zu stellen. Sie vermeiden es peinlich genau, irgendetwas auch nur ansatzweise Kritisches zu veröffentlichen, ihre Sprache ist reine Werbung. Als Ergebnis, und parallel zu der geradezu explosiven Eroberung der Welt durch das Design, hat auf semantischer Ebene eine Implosion stattgefunden, die den Designgedanken auf wenig mehr als ein Gleitmittel reduziert, das das kaum verhohlene Hauptziel zu erreichen helfen soll: egal wem egal wie egal was zu verkaufen. Das Mittel ist nur noch so mittel, während seine Bastardhaftigkeit auf ganz neue Weise zutage tritt: das Design ist ein Betrüger.
In den vergangenen Jahren haben einige Geburtsfehler des Designs eindeutig die Oberhand gewonnen. In seiner ewigen Feier des Neuen litt es schon immer unter einem schlechten Gedächtnis. Neuerdings kann man fast glauben, es hätte Alzheimer. Wie Abraham Moles erklärt, teilt es zudem die Menschheit zunehmend ein in solche, die Zugang zu der immer komplizierteren und hermetischeren „Black Box“ von Objekten haben, ihr Funktionieren steuern, und den anderen. Die Logik des ständigen Wandels, die einen schnellen und regelmäßigen Rückfluss der Investitionen erfordert, führte unvermeidlich auch zu einer Überproduktion, einer vorprogrammierten .berflüssigkeit von Waren und einem übers.ttigten Markt – der einzige Ausweg ist ein Wachstum, das auch die Eroberung neuer Märkte erlaubt.
Die Folgen sind nicht nur eine beklagenswerte Verringerung der Design-Qualität und weltweit verheerende soziale und ökologische Auswirkungen, was Arbeitsbedingungen und Müllproduktion angeht, sondern auch – da Design ein typisch westliches Kulturphänomen ist – die vollkommene Verdrängung anderer Kulturen.
Wie Vilém Flusser schreibt: „Die Zukunft wird vor allem eine Frage des Designs sein.“ In der Tat, aber was für ein Design? Die Bedeutung dieses Worts ist so hohl geworden, seit es irgendetwas bezeichnet, dass selbst Experten und Marketingleute es nicht mehr definieren könnten. Und die Antwort lautet: ein Design, das zu seinen Wurzeln zurückkehrt und wieder der glückliche Bastard wird.
Wenn das Design der Zukunft also überhaupt noch zu irgendetwas nütze sein will, wird es unnütz und unschön sein müssen, unbeholfen und unangenehm, unpassend und ungezogen, unvernünftig und unverantwortlich. Es wird eine panorama- und kaleidoskopartige Perspektive einnehmen und eine Vielfalt an Formen bieten müssen, die nicht mehr nur Finanz- und Modefragen folgen – ganz zu schweigen von der Funktion –, sondern auch anderen Wörtern mit F: wie Fiktion und Friktion, Fee und Faun, Freund und Feind, Frucht und Furcht, Frauen und Furien, Fressen und Ficken, Frost und Frust, Funkeln und Furunkeln. Dann wird es wieder fabelhaft und fantastisch.
In einem ungleichen Kampf gegen eine totalitäre esignindustrie wird es sich gezwungenermaßen mit „foco“ und „foquismo“ befassen müssen, der Ideologie, die auf Che Guevaras Postulat zurückgeht, dass eine kleine, entschlossene Gruppe engagierter Männer eine Revolution in Gang setzen kann: mit einer Taktik von Blitzüberf.llen, durch eine gute Mischung von Individuen und Gruppen, die flexibel und mobil sind, immer auf der Suche nach Rissen im System, und die sich ausbreiten wie eine Krankheit, nicht greifbar und nicht heilbar.
Aber die Inspiration wird auch von Menschen wie Peter Sellers kommen müssen, denn die neue Designergeneration wird dieser Radikalität eine gewisse Selbstironie und die befreiende Kraft des Lachens gegenüberstellen müssen. Denn das Foco-Design mag zwar utopisch sein und sich wie Jerszy Seymour in Wunschträumen („pipe dreams“) artikulieren, aber es ist nicht naiv. Es wird vollkommen akzeptieren, dass es keine Flucht gibt vor einer Gesellschaft, in der alles – unser Körper, Essen, Geld, Umwelt, Unterhaltung und Kommunikation – den Konsumgesetzen unterworfen ist, und dass die künstliche die einzig natürliche Umgebung ist. Man wird die romantischen Vorstellungen von einem Zurück zur Natur oder zu einem primitiven Leben wie in alten Zeiten als obsolet erkennen. Das neue Design wird daher auch keine Angst davor haben, seine Ideen in alltägliche oder kommerzielle Produkte zu übersetzen, und auch nicht davor, mit großen Konzernen zusammenzuarbeiten, vielleicht in der vagen Hoffnung, das System von innen heraus verändern zu können.
Wenn man davon ausgeht, dass es die Welt nicht verändern kann, wird dieses „Fait accompli“ als ebenso wirkungslos betrachtet werden und zu dem Schluss führen, dass es, wenn es so wenig zu gewinnen gibt, auch wenig zu verlieren gibt – zumal der Designer heute ein mächtigeres Arsenal zur Verfügung hat denn je. Die höchst raffinierten Waffen werden freundlicherweise kostenlos von der Hauptzielgruppe zur Verfügung gestellt: der postindustriellen Gesellschaft, dem Konsumdenken und dem, was Jean Baudrillard bereits als ihre letzte Metamorphose beschrieben hat, das Hyperreale, eine „Wirklichkeit in Vertretung“, in der Erfüllung und Glück nicht mehr von physischen Objekten oder Kontakten abhängen, sondern von der virtuellen Realität und flüchtigen Simulacra, die die Wirklichkeit zum großen Teil ersetzt haben, vor allem unter dem Einfluss der Massenmedien (Simulacrum bezeichnet eine Darstellung oder ein Abbild, das der öffentlichen Wahrnehmung aufgedrückt wird). Indem ebendiese Medien bis zum Letzten verführt und ausgenutzt werden sowie durch die Schaffung von Simulacra mit mehr Inhalt und Substanz wird der Designer wie der Schmetterling von Edward Norton Lorenz sein, der in Brasilien einmal mit den Flügeln schlägt und damit einen Tornado in Texas verursacht. Nie zuvor konnte ein Designer so viele Entwürfe verwerfen und nie hat er so wenig gebraucht. Ein Laptop und ein Bild reichen heute für eine weltweite Verbreitung. Sein Medium ist nicht mehr das Objekt, sondern auch die Botschaft. Er wird mit der Wahrnehmung spielen, denn um die Wahrnehmung geht es in der Hyperrealität.
Ob man Konsumenten oder Materialien betrachtet, die ganze Designindustrie oder eine einzelne, schlichte Form: die Parole wird „befreien“ lauten. Das neue Design wird weniger Probleme lösen als vielmehr Fragen stellen, denn eine einfache Frage kann an sich schon ein Projekt und eine Leistung sein, und ein großer Teil des Vergnügens wird daraus entstehen, dass das Ergebnis immer offen bleibt. Es wird vor allem die Frage stellen, warum es da ist und worum es geht, einschließlich all der Axiome, die bis heute allen Designstrategien zugrunde lagen: ihre enge Verbindung zur westlichen — amerikanischen und europäischen — Kultur im Allgemeinen, und der industrielle und kapitalistische Apparat, der ihre wichtigste Triebfeder war, im Besonderen. In Zeiten, in denen selbst die größten Konzerne nicht mehr wissen, was sie tun sollen, wird das Design der Zukunft sich nicht mehr damit zufriedengeben, auf ein industrielles Objekt, ein System oder einen Prozess reduziert zu werden, während wir uns nicht mehr damit zufriedengeben, uns wie Konsumenten oder Benutzer zu verhalten. Es wird eine ganze Philosophie sein, die die Systeme, Codes, Konventionen und unterschwelligen Mechanismen überdenkt, die den sozialen Apparat, den Menschen und seine unvermeidlichen Riten und Gebräuche am Laufen und auf Kurs halten. Das Design wird sich darüber hinaus mit der Übervölkerung der Städte beschäftigen, mit der globalen Erwärmung und mit der Kommunikation, die einen kalten Krieg wegen Kleinigkeiten wie schlecht zu öffnender Verpackungen, stumpfer Messer oder stinkender Turnschuhe beenden kann.
Aber als erstes wird es heruntergefahren auf den Nullzustand, die Ursuppe, in der das Chaos regiert, einen Zustand des Nicht-Designs im wörtlichen Sinne, in dem die Dinge noch nicht festgeschrieben sind, um ein neues Alphabet zu entwickeln, mit dem wir unser Wertesystem hinterfragen können, Formbildung überdenken und eine Wissenschaft und eine Praxis entwickeln; die sich mit dem Wohnen und dem Habitat im Allgemeinen beschäftigen, inklusive Favelas und Hütten, und nicht mit Architektur oder dem neusten großen Wurf berühmter Architekten; die sich mit Kleidung und nicht mit Mode beschäftigt; mit Essen, nicht mit Gastronomie; mit Mobilität, nicht nur mit Autos. Es wird sich auf die Phänomenologie des Objekts aufpfropfen, wie sie von Philosophen wie Sartre und Baudrillard entwickelt und von der Designwelt vollkommen ignoriert wurde, und sei es auch nur, weil ihre Kritik Kriterien wie Ekel beinhaltete. Wie eine der Designerinnen in diesem Buch, Katharina Wahl, erklärt: ein guter Stuhl wird dem Kopf mehr bieten als dem Po.
Eine der größten Herausforderungen für das Design wird es sein, neue Wege der Zusammenarbeit zu entwickeln, unabhängig von der existierenden Industrie und unternehmerischem Denken. Es wird dem steten Wandel eine Revolution gegenüberstellen. Wie die Arbeit der wegbereitenden Designer in diesem Buch bereits zeigt, wird das Design nicht für nur eine Ideologie stehen. Es wird auch keine endgültige Antwort liefern. Es wird nicht eins, sondern viele sein. Es wird die Kultur aufmischen und ankratzen – und die Grenzen zu Kunst und Mode, aber auch Wissenschaft, Politik und den extremsten und erbärmlichsten Formen der Popkultur auflösen. Aber das neue Design wird vor allem seine Verbindungen zur Kunst stärken, so wie Boris Groys sie sieht, dass gute Kunst vor allem die Kunst der Weigerung sei: „Heutzutage entwickelt ein erfolgreicher Designer Objekte, die funktional sein mögen, aber gleichzeitig unpraktisch und unbequem sind. Traditionellerweise bedeutete Design eine bequeme Benutzbarkeit, während Kunst nutzlos zu sein hatte. Gutes zeitgenössisches Design verbindet diese beiden gegensätzlichen Figuren miteinander – den nutzlosen Künstler und den praktisch veranlagten Designer (…) und frustriert den Benutzer, der sich fragt, warum der Designer ein so schwierig zu handhabendes Gerät gestaltet hat.“ Statt nur eine weitere Möglichkeit zu sein, den Shareholder zufriedenzustellen, wird dieses „halbfunktionale“ Design vor allem eine poetische Übung sein, die das Blaue vom Himmel holt. Es wird es uns zu allererst ermöglichen, uns selbst zu designen. Mehr denn je werden Objekte zu Vehikeln für unsere Wünsche, Phantasien, Obsessionen, Fetische, Anomalien, Pathologien werden, und vor allem für die „vernachlässigten Bedürfnisse“, die von der Gesellschaft nicht befriedigt oder sogar gemieden werden, wie etwa Noam Torans „Subliminal Furniture“ und „Objects for Lonely Men“. Es wird den unausgesprochenen Ehrenkodex durchbrechen, der die Designer davon abhält, sich auf die dunklen und verstörenden Aspekte des Lebens wie Krieg, Tod, Sex, Terrorismus, Macht, Paranoia, Angst und Autorität, Grausamkeit und Krankheiten zu beziehen und sie zu kommentieren, und davon, Normen und Tabus in Frage zu stellen.
Das Design wird auch zu einer moralischen Frage werden. Es wird Designer mit ihrem politischen, sozialen und ökologischen Gewissen konfrontieren. Es wird auf existenziellen Themen wie Demokratie, globale und lokale Entwicklung, Biotechnologie und Dematerialiserung des Objekts bestehen. Es wird sich einen Weg suchen, auf dem die Vorstellung von Design parallel zur schnellen Globalisierung des Industriedesigns auch semantisch globalisiert werden und sich von einer monokulturellen, ausschließlich im Westen verankerten Angelegenheit in eine multikulturelle verwandeln könnte.
Das Design der Zukunft wird sich weigern, ein Design für ein paar wenige Glückliche zu sein. Im Gegenteil, es wird zuerst und vor allem ein Design für die restlichen 90% sein, die bislang Vergessenen und Vernachlässigten, einschließlich der dritten und vierten Welt. Es wird auch die 90% berücksichtigen müssen, die Enzio Manzini als den Teil unseres gegenwärtigen Verbrauchs von Rohstoffen und Energie benannte, den wir einsparen müssen, um die Welt nachhaltig umweltverträglich zu gestalten. Gleichzeitig fügte er hinzu: Es sei eine der größten Herausforderungen für den Designer der Zukunft, dieses Auskommen mit Weniger und die Armut attraktiv zu machen. Um das zu erreichen, wird das Design der Zukunft eine Vorliebe für schwache, zerbrechliche, bescheidene, unattraktive und höchst ungewöhnliche Materialien entwickeln, die üblicherweise weggeworfen werden, oder an die einfach noch niemand gedacht hat – nicht nur Maschendraht, Klebeband und Pappmaché, sondern auch Sand, Staub und Schmutz, konservierte Schafsmägen, tote Vögel und Maulwürfe, oder gejagte und gefangene Luft und Schatten. Es wird ein Design sein, das sich von der Mitte entfernt und die Peripherie durchsucht, und es wird zu unglaublichen Entdeckungen führen.
Während die Schönheit des Unperfekten gefeiert wird, wird das neue Design zu Victor Papaneks „Design for Need“ und „Design for the Real World“ zurückkehren. Im Kielwasser seiner Appropriate Technology (AT ) und seines „Tin Can Radio“ wird es einen Do-it-yourself-Ansatz propagieren, der das Wesen der Objekte wieder transparent macht. Das neue Design wird uns das nackte Objekt zeigen, auf sein Wesentliches reduziert, frei von Tarnung und überflüssiger Dekoration.
Auf der Suche nach dem Nullzustand wird das neue Design auch im Meer der Dinge, die uns bereits umgeben, im Müll und Junk der Gesellschaft dies und das finden, Weggeworfenes und Verlassenes; es wird Fundstücke ausschlachten, sie mutwillig zerstören, umnutzen, umstellen, dekonstruieren, kombinieren und mit dem Hammer bearbeiten – auch die Ikonen und Klassiker –, um Objekte mit einer neuen Würde zu schaffen, dreidimensionale Poesie.
Das Ergebnis – und die Beispiele in diesem Buch sind bereits zahlreich – werden unterschiedlichste Objekte sein, jedes mit einer eigenen Aussage. Manche werden funktional sein, manche kümmerliche, sonderbare, bekloppte, hybride Monster. Manche vielleicht sogar schön. Aber wie Martin Gamper schrieb, als er aus einem Haufen weggeworfener Stühle in hundert Tagen hundert Stühle machte: „Noch das schäbigste dieser neugemachten Stücke wird eine gewisse Euphorie haben, weil es dem Schicksal entkommen ist.“
Das neue Design wird plötzlich da sein. Der Umgestaltungsprozess ist oft improvisiert, spontan, unmittelbar wie Fronts [nicht gefunden; ist das eine Person? Ein Programm?] dreidimensionale Entwürfe. Traditionelle Handwerkskünste werden mit neusten und modernsten Technologien vermischt und verwandeln mit Hilfe eines 3D-Scanners und einer SLS Rapid-Manufacturing-Technologie einen Strahlenkranz in einen Blitz oder unseren Herzschlag in ein unbelebtes Objekt – wie Tom Price es getan hat [verstehe ich nicht, was meint er? Erklärt sich das anderswo im Buch?].
Aber im Unterschied zum heutigen Design werden die Szenarios, die auf diesen neuen Technologien basieren, nicht Hightech sein. Sie werden vollkommen mit der „diffusen Modernität“ einhergehen, für die ein anderer Doyen der italienischen radikalen Bewegung, Andrea Branzi, plädierte, als er feststellte, dass der klassische Modernismus mit seiner Betonung der geschlossenen Form und definierten Funktion nicht nur den Kontakt zu den intimen Bedürfnissen und dem Verhalten der Nutzer verloren hatte, sondern auch den zu den allgemeinen Bedürfnissen einer in Bewegung befindlichen Gesellschaft, die auf Elektronik und Dienstleistungen gründet. Das zukünftige Design wird auf einer „schwachen Energie“ beruhen, die sowohl der Natur als auch der elektronischen Revolution, die unsere heutige Gesellschaft steuert, gerecht wird, und in der das Transluzente, Leichte, Flexible, Zerbrechliche, Zarte und Poetische die Leitprinzipen sein werden.
Viel zu viele Geräte und M.belstücke sind in unsere Häuser und Büros eingedrungen wie Fremdkörper; technische Gerätschaften ohne jede Würde, die man nur wegen ihres Nutzens schätzt. Die Objekte von morgen jedoch werden den „Animali Domestici“ von Andrea Branzi nicht unähnlich sein; M.belstücken, in denen er das Natürliche und Primitive mit dem technologisch Ausgereiften vermählt; die als Fetische und Meditationsobjekte fungieren, weit über das Rationale hinaus, und die die diffuse Bilderwelt der „dormiveglia“ oder der Tagträumerei spielerisch umsetzen und eine intime und liebevolle Beziehung zu uns aufbauen, ähnlich der zu unseren geliebten Haustieren, Hunden oder Katzen.
In einer Umgebung, die übers.ttigt ist mit Informationen, werden die Objekte der Zukunft keinen Maulkorb mehr tragen, sondern unterschiedliche Kommunikationswege entdecken. Sie werden nicht einfach sprechen, sondern schreien, flüstern, brüllen, rufen und fluchen. Sie werden durch ihre Körpersprache der Persönlichkeit und der Leidenschaft des Designers Ausdruck verleihen und unsere Gefühle und unsere Phantasie wecken – manchmal, indem sie einem Haus schon beim Eintreten etwas Verstörendes verpassen und ein unterschwelliges Gefühl der Beunruhigung verursachen, und manchmal, indem sie uns ein Gefühl einer „Mandorla“ vermitteln, nach der Marti Guixé immer strebt, einer Enthüllung des Sublimen. Zutiefst menschlich, warm, bescheiden, arrogant oder verspielt, werden sie sich nicht als Totems, Menetekel oder Zeichen der Zeit präsentieren und den Geist einer ganzen Ära verkörpern, sondern sich auch selbst als lebende Organismen erweisen, die uns immer wieder mit ihrem Verhalten überraschen, außer Kontrolle geraten und sich permanent verändern.
Zu guter Letzt sind die Objekte der Zukunft kaum mehr als das, was Andrea Branzi als „intelligente Überlebensrequisiten“ in einer postapokalyptischen Zeit beschrieb, und kaum zu mehr nütze als die Karten in den Rückenlehnen von Flugzeugsitzen mit den Anweisungen für den Katastrophenfall, die Marti Guixé als Inspiration dienten. Sie werden daher kurzlebig, vergänglich, flüchtig sein wie Erik Klarenbeeks Seifenblasen und Nacho Carbonells Sandburgen, oder aus kompostierbaren Materialien bestehen, die sich schnell wieder in ihre Umgebung integrieren, eine perfekte Metapher für die Zwecklosigkeit des Designs.
Aber da das Design auch von der Industrie und der Gesellschaft von morgen für zwecklos gehalten wird, wenn auch vielleicht aus anderen Gründen, wird diese Einsicht in seine Nichtigkeit und Relativität auch eine enorme Freiheit schaffen, genauso wie die von Greil Marcus in „Lipstick traces. Von Dada bis Punk. Eine geheime Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts“ beschriebene Erkenntnis, dass alle Dinge „nicht naturgegebene Tatsachen sind, sondern ideologische Konstrukte“. Er beschreibt die Bresche, die Phänomene wie Dada oder die Sex Pistols geschlagen haben: „Dinge, die gemacht worden waren und daher auch verändert oder gleich ganz abgeschafft werden konnten. Es war möglich geworden, Dinge einfach als schlechten Witz zu begreifen, und die Musik als besseren Witz vorzubringen. Die Musik erschien als Nein, das zu einem Ja wurde, dann wieder zum Nein, dann wieder zum Ja: nichts ist wahr, außer unserer Überzeugung, dass die Welt, die wir als gegeben hinnehmen sollen, falsch ist. Und wenn nichts wahr war, dann war alles möglich.“ Anders als gute Kunst – die schon immer vor allem eine Kunst der Weigerung war – war gutes Design immer sehr viel mehrdeutiger in seinem Verhältnis zur Gesellschaft, der Industrie und ihren Bedürfnissen – „ein Nein, das zu einem Ja wird, dann wieder zum Nein, dann wieder zum Ja.“
Das vorliegende Buch vermittelt bereits einen umfangreichen Eindruck, wohin es in Zukunft führen kann, wenn alle gegenwärtigen Dinge als „ideologische Konstrukte“ demaskiert und neue Dinge geschaffen werden, die ganz andere Ideologien atmen, gesteuert von den Interessen der Gesellschaft als Ganzes und nicht nur von der Industrie: üppig, roh, sinnlich, funktionsgestört, frustrierend, leidenschaftlich und mitleidig, liebend und sorgend, wild, extrem, persönlich, phantasievoll und außer Rand und Band. Was auch immer der Titel verheißt: Dieses Buch ist kein Katalog. Es ist irgendetwas zwischen Guevaras „La Guerra de Guerrilla“s, Jacques Tatis „Jour de Fête“, dem Comic „The Fabulous Furry Freak Brothers“ und einer Anthologie besonders herausragender Kurzgeschichten. form will follow foquismo!

Bezüge zur HfG Ulm

modernist design, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons

Die Hochschule für Gestaltung Ulm (hfg ulm) 1953 bis 1968.

Die Hochschule entstand in dem Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Wort „Design” in der deutschen Sprache noch nicht existierte. Vielmehr wurde an den handwerklich orientierten Werkkunstschulen „Formgebung” gelehrt und an den Kunstakademien „Angewandte Kunst” und „Gebrauchsgrafik”. Durch die hfg ulm änderte sich das. Die ulmer Studiengänge prägten nicht nur neue Disziplinen des Design, auch die Inhalte wurden neu definiert: Statt Grafik-Design kam „Visuelle Kommunikation”, statt „Formgebung”: Produktgestaltung und statt „Architektur”: Industrielles Bauen. Eine vierte Abteilung, Information, sollte Journalisten für Presse und Funk und Dokumentarfilm ausbilden. Diese Abteilung wurde 1964 geschlossen und, mit geändertem Programm, als „Institut für Filmgestaltung” weitergeführt.

Die hfg ulm veränderte das Verständnis von Gestaltung grundlegend und schuf ein neues Modell der Design-Ausbildung. Der Lehrplan umfasste Disziplinen, die in bisherigen Studiengängen für Gestaltung großteils oder gänzlich fehlten: Kybernetik, Topologie, Ergonomie, Semiotik, Informationstheorie, daneben Psychologie, Soziologie, Planungstheorie, Kulturgeschichte etc.

In der praktischen Projekt- und Werkstattarbeit entstanden Dinge, die an traditionell künstlerisch orientierten Schulen nicht thematisiert wurden: Landwirtschaftliche Maschinen, ein Zahnarzt-Arbeitsplatz, ein modulares System für Bushaltestellen, ein Bedienungs-Zeichensystem für Olivetti- Büromaschinen, Layout-Systeme („Raster”) für Tageszeitungen.

Die hfg ulm wurde 1953 von Inge Aicher-Scholl, Otl Aicher und dem schweizer Ex-Bauhäusler Max Bill gegründet, später kam der Argentinier Tomás Maldonado dazu, der ein neues Lehrkonzept nachhaltig prägte. 1955 wurde der von Bill entworfene Campus fertiggestellt (Lehrstätten. Mensa, Bibliothek und 50 Studenten-Wohnungen).

Die hfg ulm war eine private Hochschule mit staatlicher Anerkennung. Sie war für maximal 150 Studierende ausgelegt mit Klassengrößen von etwa 15 Personen pro Jahr und Abteilung. Fast 50% der Studierenden kamen aus dem Ausland; diese nahmen ihre Erfahrung mit dem neuen Lehrkonzept zurück in ihre Länder, wo sie halfen, Hochschulen und Studiengänge nach dem ulmer Modell zu gründen, so in Indien, Japan, Brasilien und den USA.

Nach Differenzen mit der Stuttgarter Landesregierung über dringend benötigte Zuschüsse wurden den Dozenten im Jahr 1968 die Verträge gekündigt. Damit ging ein wichtiges Kapitel europäischer Designgeschichte zu Ende.