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Zur Sprache des Design

In kultur- und designtheoretischen Überlegungen ist häufig von »Produktsprache« oder vom »Zeichencharakter von Objekten« die Rede. Bei genauerer Betrachtung beziehen sie sich meist auf linguistische oder zeichentheoretische (semiotische) Annahmen, die davon ausgehen, dass dem visuell wahrgenommenen objektiven Äußeren der Dinge ein “lesbarer” Code unterlegt sei. Dieser könne – in Analogie zur Grammatik von Sprachen gewissermaßen wortlos – den Austausch von bedeutungsvollen Informationen ermöglichen. Es geht also im Kern zunächst um eine Relation zwischen Gegenstand und Betrachter. Die Einseitigkeit des Informationsflusses ist dabei voraussetzen, denn das Ding präsentiert sich lediglich aus einem bestimmten Blickwinkel in seiner äußeren Gestalt. Es geht folglich nicht um Kommunikation im dialogischen Sinne.

Verschiedene Zeichentheoretiker, wie u.a. Roland Barthes, Umberto Eco oder Nelson Goodman, lieferten hierzu verschiedenartige Erklärungsansätze, die jedoch mehr oder weniger unvollständige Skizzen darstellen und mit je eigenen Terminologien arbeiten. So unterlegt Barthes in seiner “Semiotik der Artefakte” (1964) den Gebrauchsdingen eine bestimmte “Ausdruckssubstanz”, die gleichsam an ihnen haftet und sich an den Rezipienten richtet. Goodman versteht die gestalteten Verschlüsselungen in ästhetischen Gegenständen zugleich als lesbare »Referenzobjekte« und Eco beschäftigt sich in seiner “Einführung in die Semiotik” (1968) ausführlich mit dreidimensional “funktionierenden” Hinweisen, die, ähnlich den Eigenschaften eines zweidimensionalen Bildes, ebenfalls eine in den Raum führende mitteilungsfähige visuelle Zeichenstruktur besitzen. Einige dieser mit unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Grundauffassungen operierenden Überlegungen gehen auf Martin Heideggers philosophische Frage nach dem “Ding als Träger von Eigenschaften” (S. 24ff.) zurück (in: Die Frage nach dem Ding. Tübingen 1962), in welcher die gewöhnlichen Dinge um uns herum zugleich ablesbare “Eigenschaften” tragen, “denen ´Verweisungen ´eingeschrieben sind, welche auf den praktischen Gebrauch und Nutzen, die ´Dienlichkeit`(…) verweisen” (zit. aus: W. Nöth, Handbuch der Semiotik. Göttingen 2009, S. 527). Heidegger spricht hierbei vom “Etwas”, das den Dingen “aufliegt”. Für ihn ist es allerdings “so einleuchtend und selbstverständlich, daß man sich fast scheut, solche Gemeinplätze noch eigens vorzutragen.” (a.a.O., S 25) Deshalb wurde schon früh auf das Problem der Inadäquatheit derverschiedenen Zeichengebilde hingewiesen, denn »für den Bereich der visuellen Zeichen ist letztlich nicht geklärt, ob es sich hierbei um den Aufbau eines Zeichensystems nach den Baugesetzen der Sprache oder um eine andere Art von System handelt.” (Klaus Kowalski, Die Wirkung visueller Zeichen. Stuttgart 1973, S. 182)

Insbesondere im Unterschied zur verbalen Sprache mit ihren linearen Zeichenfolgen wird in den einschlägigen Diskursen zur Sprache von Alltagsobjekten zumeist auf die präsentative Logik solcher Zeichengefüge hingewiesen: Denn Designobjekte stellen sich unmittelbar dar, d.h. unsere visuelle Wahrnehmung registriert das materiellen Ding ähnlich einem zweidimensionalen Bild, das ebenfalls ohne Umwege über das repräsentierende, also stellvertretende Bildzeichen, funktioniert. Wörter mit ihren Buchstaben bezeichnen dagegen immer etwas anderes, für das sie stellvertretend gebraucht werden.
Akzeptieren wir diese substanzielle Defferenz, dann folgen die decodierbaren, produktsprachlichen Mitteilungen in gewisser Weise zwar ebenfalls einem vorher erlernten Alphabet, d.h. der Rezipient muss zunächst überhaupt ablesen können, wie er das Ding in sein Erkennungssystem einordnen kann: Wodurch unterscheidet es sich von der Unzahl anderer? Wozu oder wie lässt es sich benutzen? Die dafür erforderlichen Informationen sind überwiegend visuell, taktil oder haptisch angelegt, und sie treffen in der Regel auf bereits vorhandene Erfahrungen oder erlernte Kenntnisse. Das auf diese Weise kommunizierende authentische Objekt gibt zeichenhafte Auskünfte über seinen Funktionszusammenhang, seine Dimensionen oder Materialität, möglicherweise sein Innenleben et cetera.
Kenntnisse über diese vom Nutzer benötigten Botschaften sind für Produktdesigner außerordentlich bedeutungsvoll, tragen sie doch dafür Verantwortung, dass sich die Gegenstände im praktischen Gebrauch durch eine sorgsam durchdachte Gestaltung möglichst einwandfrei und problemlos benutzen lassen. Mit eindeutigem Design soll jede Irritation beim Zeichenempfänger – oder Benutzer – aus plausiblen Gründen verhindert werden. Raymond Loewys lautstarker Appell „Avoid confusion !“ geht auf diesen Kontext zurück.
Über die “ablesbaren” Eigenschaften hinaus lassen sich freilich auch „unsichtbare“ symbolische Bedeutungen vermitteln. Sie können außerhalb der unmittelbar wahrgenommenen Präsentation liegen. »Symbole sind nicht Stellvertretung ihrer Gegenstände, sondern Vehikel für die Vorstellung von Gegenständen […] Wenn wir über Dinge sprechen, so besitzen wir Vorstellungen von ihnen, nicht aber die Dinge selber, und die Vorstellungen, nicht die Dinge, sind das, was Symbole direkt `meinen´.« (Susanne K. Langer). Besonders Pierre Bourdieu ist zu verdanken, dass er in seiner facettenreichen Abhandlung über “Die feinen Unterschiede” (1982) auf den Klassencharakter des Symbolischen zur sozialen Distinktion in gegenwärtigen Gesellschaftsformationen hingewiesen hat. Seine soziologischen Forschungen sind aktieller denn je.

Woran lassen sich produktsprachliche Zeichencodes konkret festmachen? Zunächst besitzt das gesamte Äußere der Dinge, einschließlich aller leicht zu übersehenden Details, den beschriebenen Charakter der Selbstauskünfte:also die charakterisierende Referenz von Oberflächen, Farbgebungen, Materialeigenschaften, differierende Merkmale der Form, Firmenlabels, Kanten mit ihren Radien, Umrisslinien, Proportionen unterschiedlicher Bauelemente et cetera. Diesen empirisch und qualitativ bestimmbaren Eigenschaften sind die oben zitierten “Verweisungen eingeschrieben”, die vor dem Hintergrund unserer Erfahrungen bestimmte Botschaften transportieren. Wir können auch sagen, auf diese Weise sprechen die Dinge mit uns. Als zeichenhafte Eigenschaften wiederum aktivieren sie jene im Individuum angelegte subjektiv gefärbte Verarbeitung. Die reflexartig aufgenommenen Stimuli können zugleich Erfahrungen, Erinnerungen, Gefühle, individuelle Motive oder Wünsche in uns auslösen.

Autor*in

Stehr, Werner

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