[…] Die beste Eigenschaft der Dinge um uns her sollte das Anspruchslose sein. Wir müssten in allen Betrachtungen und Urteilen über sie davon ausgehen. Hierbei ist aber nichts so hinderlich wie das einseitige Zweckwollen, denn wer ausschließlich auf den Zweck der Gebrauchsgegenstände achtet, immer von ihm ausgeht, der wird die mögliche Schönheit der Dinge gar nicht erleben. Dabei klingen alle Erfordernisse ihrer Herstellung und ihres Nutzens, wo sie in rechte Verhältnisse zueinander gebracht werden, jedes Mal in einer Wohltuenden Gestaltung aus, denn hierfür ist die Nützlichkeit ein selbstverständliches Gebot.
Das Betonen des Zweckmäßigen im gestaltenden Schaffen war die sichtbare Auflehnung gegen das Unnütze und Unaufrichtige an Bauten, Handwerks- und Industrieerzeugnissen unserer Zeit. Das Verlangen nach dem Materialgerechten hatte die gleiche Bedeutung. Eine ethische Erkenntnis erzwang hier um der künstlerischen Wahrheit willen den Gegensatz zum Gewohnten. Das ist das Schwere und Verhängnisvolle jenes Beginnens gewesen. Aber anders als aus dem Widerspruch konnte das Neue nicht werden. Unermesslich dehnten sich überall die Städte, kamen Orte und Fabriken aus der Erde und häuften sich die Waren aus Werkstätten und Fabriken. Und die Bauten und Waren gehörten einer Zeit, in der alles Künstlerische nur attrappenhaft gelten konnte, amortisationsfähig und auf Verschleiß berechnet wie eine Maschine. Inmitten solcher Welt entstanden dann Löffel, Teller, Möbel und Häuser, die uns ohne Trug und Umwege gehören konnten. Zweck und Stoff waren hier Mittel und Ausgang eines ethischen Willens. Ein verheißender Anfang ging damit von diesem Wenigen aus. Auf ihm bauen wir. Uns ist jeder Gegenstand erst dann genug, wenn wir ihn in stiller Einfügung und unbeachtet wissen, wenn also das Nützen der Dinge ein Gebrauchen sein kann, das wohl tut wie der Umgang mit für uns seltenen Menschen, die wir darum lieben.
Daher muss alles Gestalten der Dinge von ihrer Bestimmung ausgehen. So soll ein Stuhl nicht nur schön anzusehen sein, sich gut in den Raum fügen und eine bequeme Sitzgelegenheit bieten, er muss vielmehr außerdem so geformt sein, dass auch lässiges Benützen, Empfinden und Gewohnheiten anderer nicht stört. Zudem ist gerade der Stuhl ein vielsagender Gegenstand gesellschaftlicher Kultur. Die Reihenfolge seiner Entwicklungen gibt einprägsamer die gesellschaftlichen Wandlungen und Umschichtungen wieder als etwa das Glas oder irgendein anderes Gerät und seine Geschichte. Man könnte in diesem Zusammenhang von einer Haltung der Dinge ausgehen, die dem Hausgerät eigen ist im Schlechten wie im Guten.
Jeder Gegenstand gibt dem Raum, der ihn aufnimmt, allein oder mit anderen eine unser Empfinden berührende Atmosphäre. Wohl wird sie vom Raumgefüge beeindruckt, von den Unterbrechungen durch Fenster und Türen und auch von den Farben, sie bleibt aber reglos ohne gegenständliche Belebung. Zu diesem stillen Dasein uns umgebender Dinge kommt ihre eigentliche Bestimmung: der Gebrauch. Mit ihm gehören sie erst völlig dem Menschen an, nehmen sie ah seinem Leben teil und werden sie ihm nahe wie das Werkzeug dem Handwerker. Darum ist auch eine Kanne erst dann vollkommen zweckmäßig, wenn sie nicht allein gut gießt, den Deckel hält und sicher steht, sich leicht reinigen lässt und bequem zu handhaben ist. Hierüber hinaus müssen diese Vorzüge einen schönen Gebrauch hervorrufen, damit wir den Händen, welche uns den Tee einschenken, gern zusehen, sie nicht angestrengt das Gefäß halten, und das Hantieren deshalb selbstverständlich und leicht sein kann. Kannenformen sind ungemein mannigfaltig. Aber jede ist, wo wir sie recht betrachten, ihrem Inhalt charakteristisch. Nicht bloß die Art, auch der Wert, den das Getränk für uns hat, wird durch die Formgebung kenntlich. Unsere Vorstellungen von Getränken und Speisen, von ihrem Aufbewahren, Geben und Nehmen, haben sich so eng und innig mit den jeweiligen Gefäßen verbunden, dass uns die Formen hierfür oft symbolhaft erscheinen und an kultische Bräuche denken lassen. War nicht die schöpfende Hand die Urform der Schale? Und gaben nicht, zur auffangenden Höhlung zusammengelegt, die Hände den ersten Becher? Hinzu kommt der Teller aneinander gelegter Hände. Schale, Becher und Teller sind aber die Grundformen der offenen Gefäße. Keine von ihnen verwenden wir willkürlich, jede hat ihre eigene Bestimmung. So wird zum Teetrinken meist die geöffnete Schale gebraucht, zu Bier und Wein der enge Becher, den sich in Abweichungen Kelche und Kraterformen zugesellten. Unbestimmter variiert die Form der Kaffeetasse zwischen Becher und Von den gießenden Gefäßen bleibt die Teekanne niedrig, dazu ist sie breit und sicher aufstehend wie ein Wasserkessel, während die Kaffeekanne stets hoch wirkt und steil. Beide Formen sind erst mit dem Kaffee- und Teehandel zu uns gekommen. Denn das betont Vertikale unserer Kaffeekannen und die dagegen horizontal wirkende Teekannenform waren nicht erst europäische Erfindungen. Wir glichen seit der spätbarocken Zeit im 18. Jahrhundert, mit der ein ausgesprochen merkantilistisches Kunstgewerbe aufgekommen war, die Gefäße nur servicehaft einander an. Aber die beiden Kannen wesenhaft verschiedene Form ist ihnen charakteristisch geblieben. […] Tee und Kaffee bedeuten uns da etwas völlig anderes als etwa Wein oder Wasser. Nicht nur, dass jene Getränke erst auf dem Feuer bereitet werden, wir aber den Wein aus Trauben keltern und das Wasser aus Brunnen oder Quellen empfangen, wir trinken auch jedes Getränk aus jedesmal anderem Verlangen. Das Wasser, das uns aus den Hausleitungen zufließt, achten wir nicht viel, und ein Gefangener wiegt es vielleicht mit Gold auf. Wir nennen zwar auch unsere braune Einheitsbrühe noch Kaffee, aber niemand von uns vergißt dabei, welch ein wohltätiges Getränk sich eigentlich mit diesem Wort verbindet. Und hier wird uns deutlich, dass wie das Trinken auch das Brauchen ein bestimmtes Verhalten zu den Dingen aussagt, und dass dieses Verhalten niemals mit zwecklichem Tun und zwecklichem Dasein erklärt wird, weil alles wie das Leben selbst ganz anderen Ursprung hat, der Tieferes und mehr bewirkt, und deshalb der Zweck immer zugleich etwas Sinngemäßes sein muss. Daraus sehen wir, wie stets erst die Idee vom Gebrauchen die Dinge formte. […]