Wer den Konsumgütermarkt durchstreift, stellt selbst als Laie fest: Emotionen liegen im Trend. Begriffe wie„Emotionalisierung“ oder „emotionaler Mehrwert“ erscheinen regelmäßig in gestaltungs- oder marketingrelevanten Texten, und aus der Werbung sind „Emotionen“ oder „Gefühle“ ebenfalls nicht wegzudenken. Was diese Begriffe bedeuten und welche Beziehungen zwischen Objekten und Emotionen tatsächlich möglich sind, scheint hingegen niemand genau zu hinterfragen.
Was genau ist eigentlich eine Emotion? Jeder weiß, dass es Emotionen gibt und wie sie sich anfühlen. Jeder erlebt sie täglich, die positiven wie die negativen. „Emotionen“ sind allen Menschen höchst vertraut als ein universales, allen Kulturkreisen und Gesellschaftsschichten zugängliches Phänomen. Verschwindend klein ist dagegen der Personenkreis, welcher der Komplexität von Emotionen aus wissenschaftlicher Sicht Herr zu werden versteht und diese zu erklären versucht. Definitionen, vielmehr Definitionsversuche gibt es zahlreiche: Knapp einhundert wurden bereits vor zwanzig Jahren aufgelistet. Die Vielfalt erklärt sich leicht: Jede Forschungsdisziplin – seien es Psychologie, Neurologie, Biologie, Kognitionswissenschaft oder Philosophie – betrachtet eine Emotion aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Dies führt zwangsweise zu verschiedensten Auslegungen, Deutungsansätzen und Definitionen. Lediglich in einem Punkt herrscht in der Emotionsforschung Einigkeit: Eine verbindliche Definition von Emotionen, was genau sie sind, wie sie entstehen und ablaufen, existiert nicht. Möglicherweise gelangt das menschliche Gehirn ja genau hier an seine Grenze. Vielleicht ist der Mensch, bedingt durch seine biologischphysiologische „Ausstattung“, gar nicht in der Lage zu begreifen, was Emotionen sind?
Zitronenpresse ,Juicy Salif”
Entwurf: Philippe Starck
Hersteller: Alessi, Omegna, 1990
“Juicy Salif – 78/365” by morberg is licensed under CC BY-SA 2.0
Ein Objekt, an dem sich die Geister scheiden! Man liebt diese Zitronenpresse, oder man hasst sie – je nach Blickwinkel. Für Designbegeisterte ist „Juicy Salif” eine Ikone, deren Gestalter niemals beabsichtigte, sie den Niederungen funktionierender Haushaltsgeräte preiszugeben. Sieht man in ihr hingegen eine schicke Zitronenpresse für den täglichen Gebrauch, wird man sie hassen.
Das Einarbeiten in das hochkomplexe Themenfeld der Emotionen und der Emotionspsychologie stellt Nichtfachleute vor eine große Herausforderung. Es beginnt bereits mit der definitorischen Abgrenzung der Begriffe „Emotion“, „Gefühl“, „Stimmung“ oder „Affekt“ voneinander. Selbst die Fachliteratur verwendet diese Begriffe uneinheitlich. Knapp formuliert: Das Thema „Emotion“ ist ein höchst diffiziler Komplex, dem es sich äußerst vorsichtig zu nähern gilt.
Diese Komplexität berücksichtigend, überrascht um so mehr die in den letzten Jahren inflationäre Verwendung der Begriffe „Emotion“ oder „emotional“ – gerade im Bereich der Konsumwelt, des Marketings und des Designs, wohlgemerkt alles Disziplinen, welche durch ihre Ausbildung in der Regel kein Grundwissen über Emotionspsychologie, Neurologie oder Biologie verfügen.
Möglicherweise liegt der besondere Reiz des Begriffes „Emotion“ gerade in seiner Uneindeutigkeit und Unerklärbarkeit für den Laien: Niemand kann genau sagen, was er umfasst. In Folge genießt er – gewissermaßen als ungeschützter Begriff – universalen Einsatz. Die „Emotion“ – sie wirkt wie eine geheimnisvolle, fast mythisch klingende Worthülse, deren eigentliche Bedeutung niemand zu hinterfragen scheint.
Und „Emotional Design“? Dieser Begriff ist gleichermaßen in aller Munde. Doch was ist damit gemeint? Haben wir es mit einem neuen Stil zu tun? Etwa der Stil der bunten, knuffigen Objekte, die vor allem Spaß machen sollen? Oder ist „Emotional Design“ als geschickte Wortfindung der Werbung zu verstehen, die damit ein unspektakuläres Objekt aufwertet und interessanter machen möchte? Angesichts der penetranten Vorherrschaft von Anglizismen auf der einen Seite und dem Missbrauch des Begriffes „Design“ als Synonym für schickes modisches Styling auf der anderen, scheint die zuletzt geäußerte Deutung durchaus plausibel. Ein weiterer Punkt stützt diese Theorie. Denn die heute weitgehend fehlende Unterscheidung der Massenwaren hinsichtlich Funktion, technischer Ausstattung und Qualität schreit geradezu nach einem attraktiven, verkaufsfördernden Zusatz. Was liegt da näher als das wiederholte Heranziehen des Begriffes „Emotional Design“, ganz nach dem Motto: „Klingt gut, passt gut, verkauft sich gut!“
Bei kritischer Beobachtung kann man sich allerdings nicht des Eindrucks erwehren, dass „Emotion“ oder „emotional“ ausschließlich positiv verstanden werden. Viele verwenden es offensichtlich synonym für Freude, Glück, angenehme gelöste Stimmung, Wohlbehagen und laden damit das Objekt positiv auf. Dass jedoch die stärksten Emotionen negativ sind, nämlich Ärger, Ekel, Wut, Angst etc., und „emotionales Design“ auch diese Gefühlserlebnisse assoziieren lässt, werden nur wenige in Betracht ziehen. Die Entwickler von Werbeslogans wie „Innovation trifft Emotion“, „Sachlichkeit, die Emotionen weckt“ oder „Genießen Sie ein Frühlingserwachen voller Emotion“ scheinen zu ignorieren, dass „Emotion“ lediglich ein übergeordneter Begriff für verschiedenartige Gefühle ist. Zu den Emotionen zählen eben auch Ekel, Wut, Trauer oder Angst. Kein Marketingexperte würde freiwillig mit diesen Begriffen für sein Produkt werben.
Emotional Design – Produkte voller Gefühl
„Emotional Design“ umschreibt den gestalterischen Ansatz, dass Design neben der funktionalen Formgebung zusätzlich die Gefühle des Menschen anspricht. Emotional Design ist kein Stil und lässt sich weder durch formale Kriterien definieren, noch auf eine bestimmte Zeit beschränken. Denn grundsätzlich besitzt jedes Objekt die Fähigkeit, verschiedene Emotionen zu wecken.
Doch wie gestaltet sich die Beziehung zwischen Objekt und Gefühl? Kann es überhaupt gefühlvolle Dinge geben, die voller Emotionen und angereichert mit Gefühl sind? Lassen sich Emotionen in einen Gegenstand „hineindesignen“ und hineinkonzipieren?
Designer versuchen, mit ihren Entwürfen bestimmte Gefühle bei potentiellen Käufern zu wecken und deren Wünsche durch zielgruppenorientiertes Entwerfen zu erfüllen. Doch welche Gefühle tatsächlich entstehen, entscheidet ausschließlich der Benutzer oder Betrachter. Ein und dasselbe Produkt kann somit unterschiedlichste Gefühlsreaktionen auslösen.
Jedes Objekt kann Emotionen auslösen, und sei es auch noch so unattraktiv oder unspektakulär. Ein Gefühl oder eine durch ein Produkt hervorgerufene Emotion entsteht allein beim Rezipienten, während der Auseinandersetzung mit dem jeweiligem Gegenstand. Dies kann die reale Interaktion mit dem Objekt bedeuten, aber auch die gedankliche Auseinandersetzung mit diesem.
Eine durch ein Produkt erweckte Emotion muss immer in Abhängigkeit zu den persönlichen Belangen des Rezipientens gesehen werden, zu den Intentionen, Bedürfnissen und Zielen des Benutzers in einer jeweiligen Situation. Mit persönlichen Belangen sind individuelle Lebenszielsetzungen gemeint, das eigene Wesen prägende Grundeinstellungen wie etwa das Moralverständnis, eben Dinge, die einem „am Herzen liegen“, aber auch stark situationsabhängige Bedürfnisse. Wem beispielsweise Anerkennung in einer bestimmten Gesellschaftsschicht wichtig ist, erlangt „Freude“ durch den Besitz von Statussymbolen, welche in dieser Schicht als Zugehörigkeitscodes etabliert sind. Ein anderer mag gegenüber genau diesen Statussymbolen jedoch Verachtung oder auch eine Art „Ekel“ empfinden, denn seine persönlichen Belange lauten Konsumverzicht, Askese oder Reduktion.
Zwei weitere Beispiele sollen die Wichtigkeit der „persönlichen Belange“ als Ausgangspunkt für die Erweckung von Emotionen durch Produkte verdeutlichen: Unterstützt ein perfektes Make-up das eigene Selbstbewusstsein und damit die Selbstsicherheit einer Person, löst ein haltbarer Lippenstift, der diese Perfektion verlässlich gewährt, Freude aus. Wem sein Äußeres hingegen weniger wichtig ist, erlebt diese Freude nicht, und wer das Schminken generell missachtet, wird gar Verachtung empfinden. Also drei unterschiedliche emotionale Reaktionen auf ein und dasselbe Produkt. Wer einfach zu bedienende Geräte bevorzugt, freut sich über eine Kaffeemaschine mit nur einem Knopf und einer Funktion; im Gegenzug wird diese Maschine bei einem Konsumenten, der insbesondere die technischen Finessen und die Flexibilität bei der Auswahl der Kaffeevielfalt liebt, Enttäuschung auslösen angesichts der reduzierten Funktionen.
Die stark situative Abhängigkeit zwischen der durch ein Produkt evozierten Emotion und den jeweiligen Belangen des Rezipientens kann zeitlich sehr kurz sein, aber auch über einen längeren Zeitraum anhalten. Als überspitztes Beispiel sei das Empfinden von „Freude“ über eine Waffe in einer Notwehrsituation angeführt. Statussymbole lösen hingegen in der Regel längere Zeit Freude aus.
Hinzuweisen ist auch auf die Wandelbarkeit der emotionalen Beziehung zwischen Produkt und Rezipient. Jeder kennt das Phänomen: Was man vor Jahren mit Freude und Stolz kaufte und zur Schau stellte, weil es die damaligen persönlichen Ideale widerspiegelte, entsorgt man heute problemlos im Müll. Aus „Freude“ oder „Stolz“ ist eine Art „Null“-Gefühl, eine Beziehungslosigkeit geworden, oder man empfindet – und dies gar nicht so selten – „Scham“ über sein früheres Besitztum. Dieser Wandlungsprozess der emotionalen Produkt-Rezipient- Beziehung kann über mehrere Jahre ablaufen, oder auch innerhalb von Sekunden: Was beim Kaufvorgang zunächst Freude hervorrief, kippt während des ersten Gebrauchs möglicherweise blitzartig in Enttäuschung um, da Erwartungen unerfüllt bleiben oder das Produkt einfach schlecht funktioniert.
Mehr Schein als Sein – Produkte als ideelle Werte
Vergleichbare Qualität und ausgereifte Entwicklungen erschweren heute die Unterscheidung von Produkten innerhalb einer Warengruppe. Die Objekte ähneln sich alle hinsichtlich Technik und Funktion. Der eigentliche Nutzwert der miteinander konkurrierenden Produkte ist vielfach identisch und für die Kaufentscheidung daher nicht ausschlaggebend. Die Differenzierung innerhalb der Warenvielfalt findet im Zeitalter des Massenkonsums auf anderer Ebene statt: Nicht mehr der Inhalt, die funktionale Leistung zählt, sondern das Äußere, der „schöne Schein“ der Produkte beeinflusst die Kaufentscheidung. Zum einen ist es buchstäblich der oberflächliche Wert – also formale Gestalt und sinnlich erfassbare Produktqualitäten, welche den Käufer ansprechen und zum Kauf überreden; zum anderen ist es der ideelle Wert, der einem Gegenstand anhaftet und diesen wie eine Art Aura umhüllt. Diese „Produktaura“ umfasst abstrakte Eigenschaften, wie beispielsweise gesellschaftlicher Status oder ethischer Wert.
“MiniCooper”
BMW AG, München, 2001
M 93, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons
Ein Auto mit Kulleraugen und Segelohren! Diesen kleinen Gefährten muss man einfach lieb haben! Der Slogan der 2001 gestarteten internationalen Werbekampagne für den MINI lautete passend “Is it love?”
Jeder Mensch positioniert Gegenstände auf einer individuellen Werteskala gemäß der ihn prägenden Ideale. Ein auf gesellschaftliche Anerkennung und sozialen Aufstieg abzielender Charakter spricht luxuriösen Statusobjekten einen hohen, Begehrlichkeit umfassenden Wert zu; ein frei von gesellschaftlichen Zwängen lebender Frei und Schöngeist platziert diese hingegen am unteren Ende seiner Skala und empfindet ihnen gegenüber Desinteresse oder gar Verachtung. Kurz: Was der eine schätzt und mit Freude erwirbt, dem begegnet der andere mit Abscheu. Demnach sind Produkte immer auch Projektionsfläche für die Wertvorstellungen potentieller Käufer. Die Ideale des Käufers werden im Produkt manifest und aus der Abstraktion in die Greifbarkeit überführt.