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„Nur für mich und so wie ich es will!“ – Produkte fürs Ego

Der Konsumgütermarkt hat eine neue Zielgruppe entdeckt: das „Ich“. Kunden möchten heute verstärkt über das Aussehen und die Art der Nutzung von Produkten mitbestimmen, diese gemäß ihren eigenen Vorstellungen gestalten und benützen.

Produkte müssen dem Nutzer „Freiräume“ lassen, um besonderen Spaß zu bereiten und zu gefallen. Lassen Produkte zu, dass der Mensch ihnen seinen persönlichen „Stempel“ aufdrückt, entsteht eine enge Beziehung zwischen Produkt und Besitzer und dadurch eine ebenso starke Markenbindung. Offensichtlich möchte sich der kaufwillige Kunde nicht mehr als Teil einer „Kundenherde“ verstehen, welche den Vorgaben der Hersteller ergeben folgt, sondern sein „Selbst“, seine Persönlichkeit, verstärkt in den Vordergrund rücken. Der Mensch folgt dabei dem Wunsch nach Individualität, um sich von der Masse abzuheben und im Sinne der Evolution Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Das Konsumgeschehen prägen heutzutage jedoch im wesentlichen Großkonzerne, die ihr Sortiment länderübergreifend offerieren und somit – überzogen formuliert – zur Vereinheitlichung der Bevölkerung beitragen. Leicht laufen wir Gefahr, als eine Art „Klon“ durch die Welt zu gehen, ausgerüstet mit identischer Kleidung, technischem Equipment, Mobiliar und Convenience- food. Wie lässt sich jedoch der neue Kaufreiz „Individualität“ mit den Prinzipien des globalen, profitorientierten Massenkonsums vereinbaren?

Kundenindividualität im Massenkonsum: Ein großer, aber nicht unlösbarer Spagat für die Hersteller. Die Lösungen heißen einerseits „mass customization“, andererseits „Flexibilität“ der Produkte hinsichtlich Aussehen und Nutzung. Kundenindividuelle Fertigung ermöglicht dem Käufer, sich ein Produkt gemäß seiner Vorstellung aus einzelnen Modulen zusammenzustellen. Andere Produkte kann der Nutzer entsprechend seiner Ideen immer wieder „neu“ gestalten und seinem jeweiligen „Geschmack“ oder Bedarf anpassen: Letztendlich aber bietet all diese Variabilität dem kreativen „Selbst“ nur begrenzte Entfaltungsmöglichkeiten. Doch darf die subjektiv positive Wahrnehmung des Selbstgestaltens nicht unterschätzt werden. Der Nutzer wird aktiv in den Gestaltungsprozess eingebunden, ihm obliegt die letzte schöpferische Handlung und damit die Entscheidung über die endgültige Form. Das Bewusstsein „Ich habe es vollendet“ dürfte bei den meisten ein Gefühl großer Befriedigung, von Stolz oder auch Überlegenheit gegenüber anderen vermitteln. Diese für das Selbstbewusstsein erhebenden Gefühle übertragen sich auch auf die Marke und tragen deutlich zu einer Identifikation des Käufers mit der Marke bei.

Mass customization – Unikate für die Masse

Einheitliche Massenware provoziert das Verlangen nach Individualität. Der Markt hat auf diesen Wunsch bereits reagiert und bietet zunehmend Produkte an, über deren endgültige Gestalt der Käufer mitbestimmen kann. Die massenhafte Produktion von individuell auf den Kunden zugeschnittenen Produkten nennt sich in der Fachsprache „Mass customization“ oder „Mass customizing“. „Mass customization“ bietet dem Käufer die Möglichkeit, sich ein Produkt gemäß seinen Wünschen aus einzelnen vom Hersteller vorgegebenen und miteinander kombinierbaren Modulen zusammenzustellen. Der „Entwurfsprozess“ findet mit Hilfe speziell programmierter Produktkonfiguratoren am Computer statt. Bereits am Bildschirm lässt sich – nach Auswahl der bevorzugten Einzelmodule – das Aussehen, beispielsweise einer Tasche, begutachten. Die Selektionsmöglichkeiten beschränken sich meist auf bestimmte Grundformen, Materialien, Farben, Größen und Detaillösungen wie etwa Absatzformen bei Schuhen. Dank computergestützter Fertigungsverfahren werden diese unikatähnlichen Produkte kostengünstig hergestellt. Die Automobilbranche setzt das Prinzip der kundenindividuellen Fertigung bereits seit Jahren um. Mittlerweile lassen sich jedoch auch Kleidung und Schuhe, Accessoires wie Taschen oder Armbanduhren oder sogar Bier und Wein (!) am Computer selbst gestalten. Je stärker der Bezug und die Nähe der Produkte zum eigenen Körper, desto größer ist offensichtlich der Wunsch, diese Dinge, die das „Selbst“ direkt tangieren und formen, nach persönlichen Vorstellungen zu gestalten.

Die dem Baukastenprinzip folgenden Produktkonfiguratoren bieten dem Kunden trotz vieler Wahlmöglichkeiten dennoch nur beschränkte Gestaltungsfreiheit. Letztendlich legt der Hersteller die auswählbaren Materialien, Farben und Grundmodelle fest und gibt eine auf das eigene Markenimage abgestimmte Richtung vor. Je mehr Einzelkomponenten des Produktes miteinander kombiniert werden können, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, am Ende wirklich ein „Unikat“ zu besitzen; rein theoretisch könnte sich jedoch eine andere Person exakt die gleiche Kombination zusammenstellen.

Bei aller Euphorie sollte jedoch nicht übersehen werden, dass „mass customization“ nicht nur ein netter Dienst am Kunden ist. Die Hersteller erhalten ohne Datenschutzdiskussionen scharf umrissene Käuferprofile und kostenlose Marktstudien über hochaktuelle Kundenwünsche.

Veränderbar! – Produkte, die sich dem eigenen Willen unterordnen

Nicht alle Hersteller können oder wollen dem Kunden so viel Freiheit lassen, sich das Produkt vor der Fertigung selbst zusammenzustellen und bei der Gestaltung aktiv mitzuwirken. Das Gefühl der „Selbstbestimmtheit“ lässt sich auch auf anderem Wege erlangen, indem der Kunde den Objekten beispielsweise den letzten, dem eigenen Willen unterworfenen „Schliff“ verleiht. Oder er kann die Objekte immer wieder leicht abwandeln, „neu“ gestalten und dabei seinem jeweiligen „Geschmack“, seiner Stimmung oder seinem Bedarf anpassen. So lassen sich beispielsweise Lampen in verschiedene Formen biegen, Porzellanschalen mit Stickgarn dekorieren oder eine Sitzbank nach Bedarf verlängern und in eine individuelle Form biegen. Und erlebt der in den 1970er Jahren so beliebte „Sitzsack“ vielleicht gerade durch sein „Selbstbestimmungspotential“ in letzter Zeit ein deutliches Revival? Die Sitzsäcke oder Sitzkissen erlauben dank ihrer flexiblen Füllung ein variantenreiches Sitzen. Wir können uns auf ihnen „fläzen“ wie es uns beliebt, sitzen, liegen, ganz nach Lust und Laune. Nicht eine fest gefügte Grundform gibt eine bestimmte Art des Sitzens vor, der man sich anzupassen hat, sondern der Nutzer formt die Sitzgelegenheit nach eigenem Befinden. Befreit vom Gängelband der Hersteller, die eine Nutzungsart oder Form des Objektes unveränderbar vorgeben, frönt der Kunde der Selbstbestimmung.

Autor*in

Jecht, Heidrun

Werk

Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Textauszug aus: Design+Emotion. Produkte, die Gefühle wecken. AK Karlsruhe 2008, S. 119f. und 122.

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