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Maschinenarbeit (1917)

In dieser Beziehung ist es bezeichnend, zu beobachten, wie die deutsche Wohnung auch heute noch das völlig chaotische Durcheinander ist, das sie vor zehn Jahren war. Eine neue, reinigende und veredelnde Auffassung ist noch nicht eingedrungen, zum Teil wird das Bedürfnis nach ihr noch gar nicht empfunden. Man fühlt sich in dem Tohuwabohu gerade wohl. Freilich muß man zugestehen, daß es vorläufig in Deutschland selbst dem Manne mit persönlichem Geschmack noch schwer wird, sich das Rüstzeug für eine selbständige bessere Ausstattung zusammenzubringen. Wir haben noch immer nicht die reiche Auswahl an gediegenen, künstlerische Anforderungen erfüllenden Stoffen, die England hat, wir haben noch immer nicht das einfache anständige Bürgermöbel, das wir brauchen. Unsere Färbereien arbeiten noch in kulturlosen Farben, obgleich gerade Deutschland das Land ist, das die ganze Welt mit Farbstoffen versorgt. Wer gute Farben haben will, muß sich den Rohstoff selbst färben lassen, und er kann von Glück sagen, wenn es ihm gelingt, zu erhalten, was er wünschte. Wer einfaches, gediegenes Hausgerät haben will, muß dafür Künstlerpreise zahlen, denn es muß besonders für ihn angefertigt werden. Hier wäre ein Gebiet, wo die stets nach Neueroberungen auslugende Industrie einspringen könnte. Warum bringt sie keine künstlerisch guten Sachen als Massenartikel hervor? Warum ist heute das Einfache teuer und das Überladene billig? Warum ist kein einfacher und billiger Stuhl zu haben? Warum diese Schmutzfarben oder diese schreienden farbigen Kontraste an den Stoffen? Legt man diese Fragen dem Fabrikanten vor, so folgt die feststehende Antwort: das Publikum verlangt es so. Der Fabrikant muß es wissen, denn die Reisenden erzählen ihm ja genügend von ihren Erfahrungen mit der Kundschaft. Allerdings besteht diese Kundschaft des Fabrikanten zunächst aus Händlern, aber diese berichten gewiß auch ihrerseits nur ihre Erfahrungen mit dem Publikum. Diese für unser Kunstniveau traurigen Erfahrungen mit dem Publikum haben ja den Anschein der Richtigkeit. Zum Teil sind sie jedoch unzweifelhaft unzutreffend oder mindestens verzerrt wiedergegeben. Haben unsere Durchschnittsgeschäfte etwa schon das Bestreben bekundet, dem Publikum künstlerisch Gutes besonders zu empfehlen? Sind sie hierzu auch nur in der Lage? Man beobachte einmal den geschwätzigen Verkäufer hinter seinem Ladentisch. Er empfiehlt den größten Schund als besonders schön, als das Neuste, als das Modernste und damit Beste. Sein Ehrgeiz liegt gewiß nicht auf dem Gebiete des guten Geschmackes, selbst wenn er solchen hätte. Das Neuste will er haben, und er verlangt bei jedem Besuche des Fabrikreisenden wieder etwas Neueres, damit er dem Publikum nach vier Wochen bereits wieder das Allerneuste bieten kann. Dieser neuerungssüchtige Mann hinter dem Ladentische ist es, der den Volksgeschmack bestimmt, nicht das Publikum benimmt sich dabei nur unglaublich töricht und läßt sich von diesem diktatorischen Vermittler zwischen Hersteller und Verkäufer in der unerhörtesten Weise hinters Licht führen. Wer hätte nicht schon sein mitleidiges Lächeln bemerkt, wenn jemand nach etwas fragt, was vor einem Vierteljahr das Neuste und Schönste war, heute aber seiner Meinung nach überholt ist? Und hat nicht schon jeder einmal erfahren, mit welcher Überlegenheit ein solcher Ladenbesitzer selbst einem geschmacklich selbständigen Käufer gegenüber seine Ästhetik zu diktieren unternimmt? Der Mann ist eben gewohnt, sein Publikum in Geschmacksfragen unangezweifelt zu beherrschen. Zum guten Teil hängt es mit diesen Verhältnissen zusammen, daß die Industrie von der neuen Kunstbewegung bisher noch so wenig Nutzen zu ziehen vermocht hat. Es liegt vorwiegend an ihrer Vermittlung an das Publikum. Das blinde Vertrauen dieser Vermittlung gegenüber und die Abhängigkeit der Fabrikanten von ihr sind der wahre Grund für die Rückständigkeit. Es fehlt an Selbstbewußtsein, an Beständigkeit und vor allem an dem Glauben an den endlichen Sieg des Guten. Warum hat sich der englische Export in Stoffen und Möbeln in den letzten zwanzig Jahren so ungeheuer entwickelt? Weil hier die Industrie erkannte, daß sie sich die künstlerische Strömung zunutze machen müsse, weil sie mit Beharrlichkeit Künstler ersten Ranges heranzog und ihre Produktion auf das künstlerisch Beste einrichtete. Der Erfolg lag hier gewiß nicht darin, daß alle vier Wochen eine Neuheit produziert wurde, sondern, im Gegenteil, in dem ständigen Festhalten an wirklich guten Entwürfen. Von den Morrisschen Tapeten verkaufen sich die vom Künstler in den sechziger Jahren gezeichneten Muster heute noch ebenso, ja besser wie vor zwanzig Jahren. […]

Das ist doch ein Zeichen für die Dauerhaftigkeit des Guten! In ähnlich standhafter Weise müßte sich die deutsche Industrie das künstlerisch Allerbeste der neuen Bewegung zunutze machen. Sie würde dann mit der Zeit schon den neuerungssüchtigen Vermittler überwinden und ihre eigenen Wege zum gebildeten Publikum finden. Vor allem aber würde sie sich nicht nur in Deutschland, sondern im Weltexport ein würdiges Absatzgebiet eröffnen, wo sie bisher fast nur mit Waren, die dem allerniedrigsten künstlerischen Geschmack huldigten, eine, wenn auch hier und da umfängliche, so doch im ganzen traurige Rolle spielte. […]

Allein die bedingungslose Nachahmung der Manieren eines anderen Standes wirft auf die eigene Wertbemessung des Bürgertums doch unbedingt ein bedauerliches Licht. Ja sie ist im Grunde doch auch nur ein Zeichen jener Streberei und Veräußerlichung, die unsere heutige Kultur kennzeichnet. […]

Offenbar wirkte hier eine Ansteckung aus den Geldkreisen ein. Aber daß sie einwirken konnte, lag wohl auch mit daran, daß in dem neuen deutschen Reiche ohnedies das eingetreten war, was Gustav Freytag 1870 dem damaligen deutschen Kronprinzen als die möglichen Folgen einer neuen deutschen Kaiserwürde schilderte und so beredt in Gegensatz zu den altpreußischen Tugenden der Einfachheit, Sparsamkeit, Anspruchslosigkeit und Strenge stellte, Tugenden, die in dem Charakterbilde Wilhelms I. einen so würdigen Ausdruck gefunden haben. Glanz, Repräsentation, Schneiderarbeit in Kostüm und Dekoration, Hofämter, Verlassen der Zucht und Einfachheit in Offizierkasinos, das fürchtete Freytag von den neuen Verhältnissen. Ein Teil des Programms hat sich bereits verwirklicht, sicherlich hat die äußerliche Repräsentationssucht auch beim Offizier und damit beim Beamten und in denjenigen Kreisen Fortschritte gemacht, die darnach streben, es diesen nachzutun. […]

Werk

In: Technische Abende im Zentralinstitut für Erziehung und Unterricht, 4/1917 (Königliche Hofbuchhandlung, Berlin 1917), S. 10 – 15 (gekürzt).

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