Skip to content

Design contra Kunsthandwerk – ein Streit ohne Zukunft

Es ist ein bewährtes Mittel, einem Produkt das Etikett “kunstgewerblich” zu verpassen, um es in Diskussionen um Gestaltung wirkungsvoll abzuqualifizieren. Sachliche Begründungen gibt es selten, der bloße Eindruck reicht, Widerspruch ist zwecklos. Wie Kaugummi oder Schlimmeres bleibt so ein verunglimpfendes Etikett kleben. Aufmerksamkeit verspricht dagegen das Wörtchen “Design”. Jeder Kunsthandwerker, der sich aus dem diskriminierten Getto des Kunstgewerbes herausbemüht, weiß um die imagehebende Wirkung dieses Zauberwörtchens. Schmuck-, Holz-, Papier- plus design; solche Kombinationen verheißen Teilhabe an Zeitgeist, Lifestyle und Avantgarde. Obwohl Design als Entwurfstätigkeit für Serienfertigungen genau definiert ist, sind Ziel, Gegenstand und Qualität von Design ein beliebter, weil kontroverser Gesprächsstoff – meist ebenso abendfüllend wie ergebnislos. Davon unbeschadet ist die hohe Wertigkeit des Wortes “Design”. Obwohl es bloß eine Tätigkeit beschreibt ist es so eindeutig mit Werten wie Fortschrittlichkeit, Intelligenz, Überlegenheit und Modernität besetzt, daß Werbestrategen es schon als Produktnamen entdeckt haben, um ein schlichtes Haargel zu einem zukunftsweisenden Produkt zu stilisieren. (Dagegen unvorstellbar: ein Lippenstift mit dem Namen “Kunstgewerbe” ! Wer wollte bestreiten, daß Kunsthandwerk und Kunstgewerbe aus der Mode gekommen sind. Allerdings nur die Begriffe, nicht die Tätigkeiten. Von den Produkten, die das designbemühte Heim schmücken, sind tatsächlich sehr viel mehr handwerklicher Natur, als es vielen bewußt ist. Jeder wünscht sich Gegenstände des täglichen Gebrauchs, die so preiswert wie Industrieprodukte sind, so individuell wie Kunstgegenstände und so traditionsreich und qualitätvoll wie solide Handwerksprodukte. Ein gemeinsames Dach für gestaltendes Handwerk und Design verspricht der Terminus “Angewandte Kunst”. Aber auch er schafft nicht wirklich Einigkeit, eignet sich allenfalls als Mittel der Selbstbehauptung und der Abgrenzung gegenüber der stets höher bewerteten Freien Kunst. Angesichts der zuweilen irrationalen Bewertungen von ästhetischen Prozessen wollen viele Gestalter mit der Kunst lieber gar nicht erst zu tun haben. Welcher Industriedesigner mag sich schon als Angewandter Künstler bezeichnen lassen?

Keine Frage: es herrscht Begriffsverwirrung in der Gestalterszene. Dies ist weder ein Grund zur Beunruhigung, noch zur Änderung. Es ist allerdings ein Zeichen der Zeit. Meist ist Neues in der Entstehung, wenn alte Begriffe unpräzise werden, nicht mehr passen, wenn sie zur Disposition stehen oder gar durch neue ersetzt werden. Je mehr sich die Arbeitsgebiete der Kunsthandwerker und der Designer überschneiden weil sich die Konsumgewohnheiten, die Produktions- und Vertriebsbedingungen in den letzten Jahrzehnten verändert haben, desto eifriger grenzen sich die Berufsgruppen in ihrem Selbstverständnis voneinander ab. Im Vorurteil der Kunsthandwerker sind viele Designer mode- und marktversessene Oberflächengestalter, ohne Sinn für künstlerischen Ausdruck, für das Wesen des Materials und für individuelle Gestaltung. Dagegen unterstellen die Industriedesigner den Kunsthandwerkern unzeitgemäße Arbeitsweisen. Begründung: Sie zäumten die Gestaltung der Dinge von hinten auf. Zu eng seien sie auf hochwertige Unikate in immer denselben Materialien fixiert und dächten gestalterisch kaum weiter, als von der Werkbank bis zum Ladentresen, statt in komplexen Lösungsstrategien den Bogen weit zu spannen von der Umwelt über den Nutzer und den Markt bis zum Produkt und seinen Funktionen. Dieses pauschale Vorurteil mag jedem aus der Seele sprechen, der sich klammheimlich all jene “Werker” in die geschützten Reservate der Boutiquen, Galerien und Geschenkmessen wünscht, die Jahr für Jahr in Wettbewerben und auf Ausstellungen dem Heer an staubfangenden CD-Ständern, stummen Dienern und Teestövchen unbekümmert immer neue Exemplare hinzugesellen. Doch wer diese Gestaltungsautodidakten dem Kunsthandwerk zurechnet, tut der traditionsreichen Disziplin unrecht. Tatsächlich hat erst die Sinnkrise in der Architektur und dem Design der 70er und 80er Jahre jene Vielfalt an Produktgestaltern auf den Plan gerufen, die mit experimentellen Einzelstücken die Szene revolutionieren wollten. Was zynische Kunststudenten oder ambitionierte Heimwerker, arbeitslose Designer oder gestaltungswütige Handwerker in missionarischem Eifer zusammenschraubten, -schweißten und -steckten hat zweifellos wichtige Impulse gegeben. Es hat aber auch dem Ruf des Kunsthandwerks geschadet, weil es mit ihm verwechselt wurde und wird. Man übersieht allzu leicht, daß es heute eine beachtliche Zahl von Kunsthandwerkern gibt, die sehr erfolgreich für Industrieunternehmen arbeiten, für sie Prototypen an Schreibgeräten, Möbeln, Bestecken oder Gefäßen entwickeln. Sie in Serienprodukte umzusetzen, verlangt von der Industrie mitunter hohe Fertigungsqualität, die häufig die Grenzen ihrer Möglichkeiten offenbaren.

Daneben haben sich in den letzten Jahren viele Netzwerke von Produktionsstätten und Vertriebswegen etabliert, in denen industrielle Halbzeugproduktionen und handwerkliche Arbeitsweisen Hand in Hand gehen. Für die Produktgestalter, die in solchen Grenzbereichen zwischen Design und Kunsthandwerk tätig sind, ist unwichtig, ob sie nun als Kunsthandwerker oder als Designer handeln. Zweifellos sind sie ihrer Arbeitsweise nach Kunsthandwerker. Die ihnen gestellte Aufgabe jedoch, die sich nicht an (handwerklicher) Auftragsproduktion, sondern an den (industriellen) Bedingungen der Vorratsproduktion orientiert, ist die eines Designers. Als solcher setzt der Kunsthandwerker zwar nicht vorrangig seine Entwurfs- und Planungsfähigkeit ein, dafür aber seine Fach- und Materialkenntnis.

Die Zusammenarbeit von künstlerischer Gestaltung, Handwerk und Industrie ist ja keineswegs eine neue Erscheinung. Für ihre große Vergangenheit stehen die Bemühungen von Werkbund und Bauhaus, die dem Kunstgewerbe Wege aus jener Krise gewiesen haben, die die Industrieproduktion ausgelöst hatte. Das enge Zusammenwirken, welches man damals schon gefordert hatte, ist noch immer kaum verwirklicht. Aber es gibt hoffnungsvolle Ansätze: Viele Handwerksakademien arbeiten an einer Verbesserung der “Gestaltung im Handwerk”. Neue manufakturell und halbindustriell arbeitenden Produktionsformen und Vertriebsnetze entstehen, an denen ganz wesentlich Handwerker und Designer beteiligt sind. Und schließlich machen immer mehr Möbelbauer – ob im Design oder im Handwerk ausgebildet – von sich reden, die in Ermangelung von Industrieaufträgen ihre Entwürfe in mehr oder weniger kleinen Serien auf den Markt zu bringen versuchen. Solche neuen Wege bieten gerade Designern und Handwerkern gute Zukunftschancen, die in solchen Wirtschaftsregionen tätig sind, die sich erst noch entwickeln oder die abgeschieden sind von den großen industriellen Zentren. Die tief wurzelnden Berührungsängste zwischen Kunsthandwerkern und Designern sind nur zu überwinden, wenn beide Seiten von der Vorstellung der Über- und Unterordnung von Kopf- und Handarbeit abrücken, wenn die “Kunst” im Handwerk kein Wert an sich mehr ist und wenn schließlich beide Bereiche in einem klugen Management koordiniert werden. Berufe des “Handwerksdesigners” und des “Managers für handwerkliche Produkte” haben Zukunft. Mit ihnen lassen sich die Leistungen mehrerer Selbständiger zusammenbinden, die für die erfolgreiche Vermarktung eines handwerklichen Serienproduktes vonnöten sind. Keiner der an so einem Prozeß beteiligten Partner kann allein diese Managementleistung erbringen, für die jedes Industrieunternehmen über bewährte innerbetriebliche Strukturen verfügt. Handwerker und Designer werden nur zeitgemäß arbeiten können, wenn der Entwurf, die Produktion und – als dritte, wesentliche Größe – der Vertrieb aufeinander abgestimmt sind, wenn keiner der drei Bereiche allein zu handeln versucht. Um solche neuen Formen der Zusammenarbeit erfolgreich zu praktizieren werden alle umdenken müssen: Ausbildungsstätten, Kammern und Verbände, Industrie und Handel und nicht zuletzt Designzentren und Museen. Gerade letztere Institutionen, die großen Einfluß haben, weil sie über den engsten Kontakt zu den Medien verfügen, kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Sie sollten der dem Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit unangemessenen Neigung, wertend zwischen Original und Kopie, Kopf- und Handarbeit, Unikat und Serie, Handwerks- und Industrieprodukten zu unterscheiden, ein Ende bereiten. Mehr denn je ist uns allen heute die Vergänglichkeit der Dinge bewußt. Bei jedem Gegenstand, den man heute konzipiert, wird dessen Entsorgung mittlerweile mit geplant. Entscheidend wird zukünftig die Qualität dieser Planung sein und nicht die Frage, ob ein Beistelltischchen von einem Kunsthandwerker oder einem Designer gestaltet wurde.

Autor*in

Nils Jockel

Print Friendly, PDF & Email