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Der Wille zum Verbrauch

Alle müssen an Erfolg teilhaben. Angelpunkt […] ist meine Überzeugung, dass nur über den freien Wettbewerb die Kräfte lebendig werden, die dahin wirken, dass jeder wirtschaftliche Fortschritt und jede Verbesserung in der Arbeitsweise sich nicht in höheren Gewinnen, Renten oder Pfründen niederschlagen, sondern dass alle diese Erfolge an den Konsumenten weitergegeben werden. Das ist der soziale Sinn der Marktwirtschaft, dass jeder wirtschaftliche Erfolg, wo immer er entsteht, dass jeder Vorteil aus der Rationalisierung, jede Verbesserung der Arbeitsleistung dem Wohle des ganzen Volkes nutzbar gemacht wird und einer besseren Befriedigung des Konsums dient.
[…]
Der Zustand einer in Permanenz optimal ausgelasteten Wirtschaft, die zugleich auch die Wachstumskräfte lebendig halten und im Fortschritt bleiben will, setzt allerdings eine dynamische und im Grunde konsumfreudige Bevölkerung voraus. Erst dieser von mir oft angeschnittene Wille zum Verbrauch gestattet es, daß sich die Produktion ohne Störung fortentwickeln kann, und daß das Streben nach Rationalisierung und Leistungsverbesserung lebendig bleibt. Nur wenn vom Verbrauch her (selbstverständlich auch dem produktiven) ein fortdauernder Druck auf die Wirtschaft ausgeübt wird, bleibt auch in der Produktionssphäre die Kraft lebendig, sich der gesteigerten Nachfrage beweglich anpassen zu wollen und entsprechende Risiken zu tragen. Es ist und bleibt der letzte Zweck jeder Wirtschaft, die Menschen aus materieller Not und Enge zu befreien. Darum meine ich auch, daß, je besser es uns gelingt, den Wohlstand zu mehren, um so seltener werden die Menschen in einer nur materiellen Lebensführung und Gesinnung versinken. Die Wohlstandsvergrößerung schafft umgekehrt erst die Grundlage, den Menschen einer primitiven, nur materialistischen Denkweise zu entreißen -; sie sollte es jedenfalls tun. Und ich vertraue auch darauf, weil in meiner Schau die Menschen nur so lange materialistisch gebunden sein werden, als sie in den Kümmernissen des Alltags gefangen sind und sich in solcher Armut nicht über die Niederungen des Lebens erheben können.
Dagegen winkt allen Menschen, die durch Wohlstand und soziale Sicherheit zum Bewußtsein ihrer selbst, ihrer Persönlichkeit und ihrer menschlichen Würde gelangen, die Möglichkeit, ja fast möchte ich sagen die frohe Hoffnung, sich aus materialistischer Gesinnung lösen zu können. Der aus solcher Vorstellung stets neu entfachte Wille, die wirtschaftliche Expansion so lange nicht erlahmen zu lassen, als es noch Mitglieder unseres Volkes gibt, deren sozialer Standard unbefriedigend ist, hat also nicht nur eine ökonomisch- materialistische, sondern eine sozial-ethische Wurzel. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob es zweckmäßig ist, den Expansionswillen in allen Entwicklungsphasen als fixe Größe zu setzen, ihn immer gleichmäßig laut zu proklamieren.
Diese mehr taktischen Wendungen können aber nicht die Richtigkeit der hier skizzierten Grundlagen allen Wirtschaftens schmälern. Solange die Expansion nicht nur von dem Wunsch nach besserer Lebensführung, sondern auch von dem Ansporn zu höherer Leistung getragen ist, besteht eine volle Harmonie. Wenn aber der Expansionswille die Gefahr mit sich bringt, daß die Menschen ohne Beziehung zur Leistung der Volkswirtschaft einfach mehr abfordern möchten, als diese zu geben vermag, dann ist diesem sozial wohltätigen Streben die reale und – ich meine auch – die moralische Grundlage entzogen.
Vorstellungen, die etwa darauf abzielen, den Ertrag der eigenen Arbeitsleistung – ausgedrückt im Lohn – zu steigern, gleichzeitig aber die Arbeitsleistung – etwa im Zuge von Arbeitszeitverkürzung – ohne Rücksicht auf realisierbare Produktivitätsverbesserungen vermindern zu wollen, haben mit diesem von mir gemeinten Expansionswillen herzlich wenig zu tun.

Autor*in

Erhard, Ludwig

Werk

In: Ders.: Wohlstand für alle. Düsseldorf 1957, Auszug aus dem 7. und 10. Kapitel “Verführt Wohlstand zum Materialismus?”, S. 174 und 233/234; mit freundlicher Genehmigung der Ludwig-Erhard-Stiftung e.V.

Verweise

Als vollständiger Text auch verfügbar unter: www.ludwig-erhard-stiftung.de

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