Skip to content

Stil? (1922)

Der schaffende Künstler, jener, der in dem Sinne produktiv ist, daß er Neues hervorbringt, fragt nicht nach dem Stil seiner Zeit. Er fördert, was ihm gefällt und läßt anderes unvollendet. Er vernichtet ja nur allzuviel Begonnenes. Auch er kann jedoch zuweilen seiner Bildung nicht entweichen und folgt dann seinen überlegenden Gedanken, ob auch die Art, der Geschmackscharakter seines Werks die richtigen seien. Aber letzten Endes sind ihm Folgerungen solcher intellektuellen Erwägungen nicht bestimmend. Ob es gut aussieht, was er machte, nur darauf kommt’s ihm an, trotz Richtung oder Zeitgeist.
Dies ist der produktive Stand künstlerischer Empfindung. Der Recipierende fragt nach dem Warum und den Zusammenhängen. So fragt der künstlerisch erzogene Mensch, weil er seine Bildung durch die Geschichte hat und weiß, daß eine jede Zeit ihren Stil hatte, bis auf unsere. Daß wir keinen haben, schon seit Dezennien, scheint außer Zweifel. Ist es so und nicht vielleicht doch denkbar, daß eine spätere Zeit Gemeinsames in aller Verschiedenheit der künstlerischen und für uns unkünstlerischen Formen finden wird? Fangen doch Museen bereits an, Möbel und Gerät aus der Zeit Napoleons III zu sammeln. Ein Stil ist eben nicht für seine eigene Zeit erkennbar, sondern kann erst in zeitlich weiterem Abstand wahrgenommen werden. Darum eben ist es müßig, den Stil seiner eigenen Zeit definieren zu wollen und ästhetische Beweisführungen für oder gegen das Neue und Ungewohnte im Kunstleben zu erheben. Die rein ästhetische Einstellung bleibt eine überflüssige Angelegenheit schon darum, weil das Kunstwollen der Zeit allemal seinen Weg geht, jene aber immer hinterher kommt. Das was uns aber angehen darf, unsere Überlegungen herausfordern muß, ist unser allgemein menschliches und persönliches Verhältnis zu den gesamten Erscheinungen unseres Lebens, zur Struktur der Zeit. Es ist nicht denkbar, dass wir uns ganz abseits der Begebenheiten unserer Tage stellten und uns in romantischer Anwandlung abschlössen von allem um uns her. Also werden wir teilnehmen am Geschehen und, je nach unserem Temperament, den geistigen Kampf härter führen oder in Resignation. Solche Einstellung ist keine ästhetische, sie ist von ethischer Art. […] In der Tat vermochte die Technik bisher auch nichts anderes, als eine Höhe materiellen Lebens zu schaffen, denn die Einheit von materiellen und geistigen, d. h. kulturellen Werten konnte nicht zum Formausdruck werden. Man dachte auch nicht daran, denn aufsteigend mit seinen großen Erfolgen wandte sich der Ingenieur immer mehr von allem ab, das seinem eigenen Gebiet nicht eng verbunden war.
So zeigt unsere Zeit überall die Merkmale der Zerrissenheit. Unsere Blicke fallen, wohin wir uns wenden, auf ein widerspruchsvolles Durcheinander. Wir erkennen die bedeutenden Leistungen des Bauingenieurs, sehen daneben aber die moderne Großstadtarchitektur in ihrer ganzen epigonenhaften Unbedeutendheit. Die schnittige Linie unserer Verkehrsmittel überrascht uns immer wieder von neuem, aber der Inhalt der Läden mit allgemeiner Gebrauchsware, den Erzeugnissen der Industrie, zeigt uns einen Tiefstand, wie er niedriger nicht gedacht werden kann.
So mag es kommen, daß gerade die Geistigen unserer Zeit die Technik als das Mittel und den Ausdruck eines rechnerischen, analytischen, kapitalististisch-imperialistischen Zeitalters ansehen und sich zurückflüchten möchten in ferne Länder und Zeiten mit einer Kunst der Verinnerlichung und seelischer Einfalt. Ihnen hat die Maschine das Seelische des Werkes und des Werkschaffens ganz zerstört. […] Wenn wir darum nicht an einen Niedergang, sondern gerade an die Evolution der Technik glauben, so könnten wir doch fürchten, daß sich unsere freie Kunst ganz im Atelier- und Mäzenateninteresse verlöre. Unsere Zeit ist zwar reich an Begabungen, ein neues Kunstwollen kündigt sich vernehmlich an, aber auch ihre Ereignisse treten noch nicht aus den Fachkreisen heraus, werden nicht zu Teilen einer höheren Universalität. […]

Autor*in

Behrens, Peter

Werk

Aus: Die Form. Monatsschrift für gestaltende Arbeit, Heft 1/1922.

Print Friendly, PDF & Email