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Möbel von heute

Beim Besuch der “Sowo” – das ist die vom Verlag Rudolf Mosse veranstaltete Ausstellung: “So wohne alle Tage” am Reichskanzlerplatz – bin ich einem gemeinsamen Zug vieler moderner Zimmereinrichtungen auf die Spur gekommen. Ich bemerke vorweg, daß die Ausstellung reizend aufgemacht ist. Sie verspottet durchtrieben die Auswüchse der neuen Sachlichkeit, die eigentlich Einschrumpfungen sind, indem sie eine Raumkomposition zeigt, deren Dürftigkeit schlechterdings nicht mehr unterboten werden kann. Und außerdem führt sie zwei Zimmer aus der Elternzeit vor, wahre Schreckensträume von Zimmern, die versehentlich im hellen Tag stehen geblieben sind. Ja, so ist es gewesen. Neben der Bronzestatue des gepanzerten Ritters hat das goldgeränderte Album gelegen, und aus dem Abzugsgraben zwischen der Sofaherberge und der Renaissancefassade des Büffetschlosses sind Prunkvasen in den Stuckhimmel gewachsen. Wie man auf den Freitreppen alter Paläste immer noch das Rauschen von Schleppen zu vernehmen glaubt, so hört man inmitten dieses warmen Seelenlabyrinths der Etageren, Lüster und Deckchen die Hausschuhe schlürfen. Die Zimmereinrichtungen, die ich meine – sie füllen bei weitem die meisten Ausstellungsräume – sind von jenen verschollenen Vorkriegsinterieurs spürbar abgerückt. Man hat inzwischen gelernt, auf abgenutzte Ornamente zu verzichten und überhaupt gradlinig schlicht zu sein. Entscheidende Gründe dieser Selbstbeschränkung sind die veränderten Produktionsmethoden und die materielle Not, die zur Vereinfachung umständlicher Formen und zur Serienfabrikation zwingt; wozu der Überdruß an vergangener Üppigkeit gekommen sein mag. Nicht zu verkennen, daß die Mehrzahl der Zimmereinrichtungen dem Zeitbedürfnis eifrig zu antworten trachtet. Weder stopft man heute soviel Mobiliar wie früher in den Raum, noch macht man aus den Möbelstücken empfindsame Schauobjekte, die am liebsten jede Zweckbestimmung verleugneten. Im Gegenteil, die Nüchternheit steht hoch im Rang, und ein Kleiderschrank will wirklich ein Kleiderschrank sein. So wäre alles in Ordnung? Keineswegs. Denn diese neuzeitlichen Zimmergegenstände, die dazu ausersehen sind, in bürgerlichen Wohnungen zu repräsentieren, gehorchen nicht so sehr der Not als der Mode und ersetzen den Mangel an Ornamenten durch den Aplomb ihres Auftretens. Sie benehmen sich ungeziert, gewiß; aber auf eine Art, die sämtlichen Menschen gleich verraten soll, wie kunstreich sie eigentlich sind. Ihre Schlichtheit vollzieht sich unter Schnaufen, ihre Glätte hat nur die Absicht, großartig zu wirken, und ihr reduziertes Wesen wünscht, als kostbar zu gelten. Da sind simple Schlafzimmerschränke, die es fertigbringen, wie uneinnehmbare Festungen zu erscheinen; Betten aus gemasertem Holz, in denen zu ruhen das Prestige der Schläfer zweifellos beträchtlich erhöht; Schreibtische, die sonst nichts weiter besitzen als ihre Proportionen und doch schon jetzt auf die Vornehmheit ihres künftigen Inhabers zu schließen erlauben. Kurzum, alle diese Möbelstücke, seien sie nun anonymes Firmenprodukt oder modern-persönlicher Architektenentwurf, sind vom verzehrenden Ehrgeiz beseelt, der geforderten Einfachheit zum Trotz den Schein der Wohlsituiertheit zu wahren. Nur nicht die Armut sich anmerken lassen, ist ihre Devise. Und so verschaffen sie sich eine blinkende Politur, machen eckige Gebärden von besonderer Ausdruckskraft oder vollführen gehobene Schwünge – lauter Mittel, die ihr soziales Ansehen zu mehren bestimmt sind. Ein bedachtes Arrangement sucht gewöhnlich den ersehnten Effekt noch zu steigern. Locker hingeschaukelte Stahlmöbelgruppen erzeugen den Eindruck sorgloser Privateleganz, und viele Eß- oder Schlafzimmergarnituren könnten in Filmateliers verwandt werden, um die Illusion von Eß- oder Schlafzimmern zu erwecken. Sie sind innenarchitektonische Ereignisse, denen sich nichts hinzufügen oder abnehmen läßt, und bereits so komplett, daß Menschen in ihnen nur störten.
Unstreitig wohnt es sich in diesen Zimmereinrichtungen bedeutend angenehmer als in den ehemaligen Greuelkabinetten, von denen sie sich durch ihre offen eingestandene Zweckmäßigkeit und durch einen gewissen Schmiß unterscheiden, wie er Leuten eigen ist, die frühmorgens immer trainieren. Die Frage ist nur: was stellen sie vor? Ich weiß es nicht recht. Zu erkennen ist noch gerade, daß die kommoden Nachttischchen, die Glanzbetten und die Schreibtischniederlassungen den Anspruch erheben, der besseren Oberschicht anzugehören, aber im übrigen bleiben sie stumm. Oft sind die Eßzimmer düster wie Krematorien, ohne daß jemand in ihnen verbrannt worden wäre, es sei denn die Suppe; dann wieder dehnen sich uferlose Holzwände, die ein Meer von Feierlichkeit sind, obwohl sich keine Talare hinter ihnen befinden, sondern, höchstens Kleider und Wäsche; oder Bücherschränke, die unter günstigen Bedingungen als Absteigequartiere dienen, haben das Aussehen von Herrschaftsgebäuden. Sie alle fühlen die Verpflichtung, außer der Gesellschaftsfähigkeit auch die geistige Höherwertigkeit darzutun und übernehmen sich einfach dabei. Leer klingen sie aus, und je mehr sie zu sein behaupten, desto vordringlicher erinnern sie an Plakate. Es ist, als seien sie einer Zeitschrift entstiegen. Statt bis zuletzt die Sachlichkeit durchzuführen, nach der sie angeblich streben, blähen sie sich mit Hilfe der neuen Formen zu einer Größe auf, die nichtssagend ist. Vermutlich entspricht ihre Anmaßung dem Verlangen der Konsumenten. Ich könnte mir jedenfalls durchaus denken, daß sie das längst unterhöhlte, aber gerade darum krampfhaft bewahrte Standesbewußtsein mancher Schichten äußerlich zu bestätigen hätte.
Der Gegensatz zwischen den abgelebten und den modernen Zimmereinrichtungen ist also gar nicht so gewaltig. Wie man jetzt jene mit einem leichten Gruseln belächelt, wird man in einer späteren Zeit diese sicher durchschauen. Auch in ihnen rumoren Gespenster, die kein Vakuumreiniger verscheucht.

Werk

Erstveröffentlichung: Frankfurter Zeitung 1931. Neudruck u.a. in: Volker Fischer, Anne Hamilton (Hrsg.): Theorien der Gestaltung. Grundlagentexte zum Design. Verlag form GmbH, Frankfurt am Main 1999, S. 129/130.

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