Skip to content

Metallmöbel und moderne Räumlichkeit

[…] Die Metallmöbel sind Teile eines modernen Raumes. Sie sind “stillos”, denn sie sollen außer ihrem Zweck und der dazu nötigen Konstruktion keine beabsichtigte Formung ausdrücken. Der neue Raum soll kein Selbstporträt des Architekten darstellen, auch nicht von vornherein individuelle Fassung der Seele seiner Gebraucher.
Da die Außenwelt heute mit den intensivsten und verschiedensten Eindrücken auf uns wirkt, verändern wir unsere Lebensformen in rascherer Folge als in früheren Zeiten. Es ist nur selbstverständlich, daß auch unsere Umgebung entsprechenden Veränderungen unterliegen muß. Wir kommen also zu Einrichtungen, zu Räumen, zu Bauten, welche in möglichst allen ihren Teilen veränderlich, beweglich und verschieden kombinierbar sind. Die Möbel, sogar die Wände des Raumes, sind nicht mehr massig, monumental, scheinbar festgewachsen oder tatsächlich festgebaut. Sie sind vielmehr luftig durchbrochen, sozusagen in den Raum gezeichnet; sie hindern weder die Bewegung, noch den Blick durch den Raum. Der Raum ist keine Komposition mehr, kein abgerundetes Ganzes, – da doch seine Dimensionen und Elemente wesentlichen Veränderungen unterliegen. Man kommt zu der Auffassung, daß irgendein richtiger, brauchbarer Gegenstand in jeden Raum “hineinpaßt”, in welchem man ihn braucht, ähnlich wie ein lebendiges Naturwesen: ein Mensch oder eine Blume. Die Reproduktionen zeigen Metallmöbel vom selben, durch die Konstruktionsart bedingten Formcharakter in den verschiedensten Räumen: im Theater, Hörsaal, Atelier, Speiseraum und Wohnzimmer. Ich habe für diese Möbel speziell Metall gewählt, um die eben beschriebenen Eigenschaften moderner Raumelemente zu erreichen. Die schwere, anspruchsvolle Polsterung eines bequemen Sessels ist durch eine straffgespannte Stofffläche und einige leicht dimensionierte, federnde Rohrbügel ersetzt. Der verwendete Stahl und besonders das Aluminium zeigen bei großer statischer Beanspruchung (die Zugspannung des Stoffes) auffallend geringes Gewicht. Die Schlittenform erhöht die Beweglichkeit. Sämtliche Typen sind aus denselben normierten, elementar gehaltenen, jederzeit zerleg- und auswechselbaren Teilen konstruiert. Diese Metallmöbel sollen nichts anderes als notwendige Apparate heutigen Lebens sein.

[…] Als ich vor zwei Jahren meinen ersten Stahlklubsessel fertig sah, dachte ich, daß dieses Stück unter meinen sämtlichen Arbeiten mir am meisten Kritik einbringen würde.
Es ist in seiner äußeren Erscheinung sowie im Materialausdruck am extremsten; es ist am wenigsten künstlerisch, am meisten logisch, am wenigsten “wohnlich”, am meisten maschinenmäßig.
Das Gegenteil des Erwarteten trat ein. Das Interesse modernistischer und nichtmodernistischer Kreise zeigte mir deutlich die Umstellung der Zeitgesinnung, die Umstellung vom Launischen zum Gesetzmäßigen. Wir haben nicht mehr das Bedürfnis, auf Kosten der Wirklichkeit phantastische, doch bald überlebte Schnörkel des Geschmacks oder des Stils (auch des “modernen”) zu schaffen oder zu verehren. Wir wissen, daß die Wirklichkeit unerschöpflich phantastisch ist, dazu noch unumgänglich, notwendig.
Da wir den ewigen Wechsel der willkürlichen Formen, Farben, der Stile satt sind, suchen wir die eindeutigen, logischen Formen gesetzmäßiger Inhalte.
Diese Arbeit ist rücksichtslos; sie verachtet die Tradition und die Gewohnheit. Man hört den Einwand gegen die Stahlmöbel, sie seien kalt, krankenhausmäßig, sie erinnerten an einen Operationsstuhl. Diese Begriffe verblühen von heute auf morgen – sie sind Produkte der Gewohnheit – durch eine andere Gewohnheit bald vernichtet. […] Ich greife nun ein Spezialgebiet der heutigen Produktion heraus: die Metallrohrmöbel. […] Die ersten Versuche nahm ich mit Duralumin vor. Doch wegen des hohen Preises dieses Materials ging ich zur Verwendung von Präzisionsstahlrohr über.
Stahl ist leichter als Holz. Dieses Paradox läßt sich ohne weiteres erklären, wenn man die statischen Eigenschaften der beiden Materialien mit in Betracht zieht. Schon Flußstahl hat beim neunfachen Gewicht, je nach Beanspruchungsart, die 13- bis 100fache Festigkeit von Buchenholz. Außerdem: Der Stahl, ein annähernd homogenes Material, ist viel eher in besonders widerstandsfähige Formen (Querschnitte, z. B. Rohr) zu bringen, als das durch seine Faserung und ungleichmäßige Beschaffenheit in seinen mechanischen Eigenschaften beschränkte Holz. Grundsätzlich wird also ein geschickt konstruiertes Stahlgestell bedeutend größeren statischen Ansprüchen entsprechen als ein gleich geschicktes Holzgestell, d. h. bei den gleichen statischen Beanspruchungen bedeutend leichter sein. Ein aus hochwertigem Stahlrohr (einem äußerst elastischen Material) konstruiertes Sitzgestell, an notwendigen Stellen mit straffgespanntem Stoff versehen, ergibt also eine leichte, vollkommen in sich federnde Sitzgelegenheit, welche die Bequemlichkeit des gepolsterten Sitzmöbels hat, mit dem Unterschied, daß sie mehrfach leichter, handlicher und hygienischer, also mehrfach praktischer im Gebrauch ist. Auch die mit Holzflächen kombinierten Gestelle sind leicht, handlich und haltbar. Die strenge Normung der Elemente – die Verwendung derselben Elemente bei den verschiedenen Möbelsorten – ihre Zerlegbarkeit in zweidimensionale Teile (über 50 Stück Klubsessel sind in ein m3 verpackbar: Wirtschaftlichkeit des Transports), und die volle Berücksichtigung der betriebstechnischen, fabrikatorischen Forderungen ergaben nun den sozialen Maßstab, den von den breitesten Massen bezahlbaren Preis, ohne den mich die ganze Arbeit nicht besonders befriedigt hätte.

Autor*in

Breuer, Marcel

Werk

In: Das Neue Frankfurt, 2. Jahrg. (Verlag „Das Neue Frankfurt“ Englert und Schlosser), Frankfurt am Main 1928, S. 11.

Print Friendly, PDF & Email