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Kriegszeiten – hier und anderswo

S1-Dampflokomotive von Raymond Leowy
Gottscho-Schleisner, Inc., photographer, Public domain, via Wikimedia Commons

Als weltgeschichtliche Katastrophe mit ihrer maßlosen Menschenverachtung ist der deutsche Nationalsozialismus im Fokus auf seine produktkulturellen Äußerungen rasch abgehandelt. Weder bringen seine selbsternannten Herrenmenschen eine deutlich kennzeichnende Form- oder Produktsprache hervor, noch ist eine tragfähige gedankliche Brücke erkennbar, die dies zu fundieren imstande wäre. »Weder in der griechisch-teutonischen Partei- und Staatsarchitektur, noch im Einrichtungsmilieu der Herrschenden, das vom Reichskanzlei- bis zum Bergbauernstil reicht« ist etwas wirklich Eigenständiges erkennbar.

Selbst ein als nationalsozialistische Errungenschaft gefeiertes Massenprodukt wie der »Volksempfänger« repräsentiert keinen originären NS-Stil. Das Gehäuse wurde schon vor 1932 von Walter M. Kersting entworfen« (alle Zitate Karl Gustmann, a.a.O., S. 50), – das ist symptomatisch. Die Nazis bedienten sich aufgrund einer ideologischen Gleichschaltung, einerlei ob In Architektur, Kunst oder Gebrauchsform, am bereits Vorhandenen. Für Josef Göbbels, schon seit 1933 »Reichsminster für Volksaufklärung und Propaganda«, galt der Rundfunk als wichtistes Medium des 20. Jahrunderts. Anlässlich seiner Eröffnungsrede zur Berliner Funkausstellung (1933) schwärmete er: Spätere Generationen würden “einmal feststellen, dass der Rundfunk für unsere Zeit geneuso eine Entwicklung der geistigen und seelischen Beeinflussung der Massen eingeleitet hat wie zu Anbruch der Reformation die Erfindung der Buchdruckerkunst.” Ebenso wie eine in ihrem Wesen autoritär verfügte “Kunst auf Befehl” (Brock/Preiß) letztendlich nicht lebensfähig war, kann im übertragenen Sinne von einer nationalsozialistischen Alltagsästhetik eigentlich nicht gesprochen werden. »Unter Alltagsäthetik in ›Dritten Reich‹ wird eine im nationalsozialistischen Sinn gesteuerte Produktund Umweltgestaltung verstanden, die den Alltag (…) strukturieren und prägen sollte. Als Mittel zur Verwirklichung dieses Anspruchs dienten neue Gesetze (…), die Ausführungskontrolle und besonders die Schaffung neuer Institutionen (u.a. Amt für ›Schönheit der Arbeit‹).« (Joachim Petsch, Kunst im Dritten Reich. Köln 1994, S.67)

Auf der Suche nach einer lautstark verkündeten »nordischen Volkskultur«, die der »seeliggeistigen Umgestaltung des deutschen Menschen« dienen sollte, verstrickten sich maßgebliche Ideologen wie Rosenberg, Speer, Schultze-Naumburg („Kunst und Rasse“, 1928) oder der “Volksaufklärer” Goebbels in widersprüchliche Pseudo- Theorien, die eher eine bodenständigautoritäre Gesinnung, antisemitische Ressentiments, Intellektuellenhass oder rassistische Totalitätsansprüche spiegelten. Man berief sich vor allem auf Alfred Rosenbergs »Mythus des Jahrhunderts” (1930), einer zusammengebrauten, schwülstigen Schrift, die sich in ihren Fermenten auf eine angebliche “Urkraft des deutschen Volkes”, eine “ewigen Rassenseele” oder nebulöse “Religion des Blutes” als Zukunftsvision berief. Ihre pathetischen Einlassungen zur Untermauerung ihrer völkischen Kulturvorstellungen zeugten meist von plumper Demagogie und rückwärtsgewandter Ideologie, dienten sie doch einzig dem Ziel politischer Mobilisierung, um im Zuge der geplanten Gleichschaltung aller Lebensbereiche die rigorosen Vorstellungen einer faschistischen Volksgemeinschaft (“Du bist nichts, dein Volk ist alles.”) durchzusetzen. Während die vom nationalsozialistischen Denken durchtränkte Propaganda sich zu Beginn ihrer “Bewegung” noch durchaus mit programmatischen Ausgangspunkten der künstlerischen Avantgarden (Expressionismus, Futurismus, neue Sachlichkeit) im Konsens befand – zum Beispiel in der gemeinsamen Ablehnung der als “dekadent” angesehenen bürgerlichen Kultur – verhärtete sich ihr widersprüchliches Kulturverständnis zusehens. Als zeitgeschichtlicher Schlusspunkt darf schließlich die schon 1933 im Rahmen der Gleichschaltung eingerichtete “Reichskulturkammer” gelten, jene rigoros autoritär agierende Zensurbehörde, die alle Kulturschaffenden fortan kontrollierte und als “entartet” diffamierte, wenn ihr etwas nicht ins ideologische Weltbild passte. Kaum eine kulturelle Aktivität entging der Zensur. Zwangsweise wurden, neben allen sonstigen künstlerischen Berufen, auch die Innenarchitekten, Entwerfer und “Formgestalter industrieller Erzeugnisse”, wie man sie offiziell nannte, dieser bürokratischen Regulierungsbehörde angeschlossen. Es darf nicht übersehen werden, dass – wie die historische Forschung zeigt – ganz im Gegensatz zu vielen Künstlern oder Architekten, die mit dem Naziregime in Konflikt gerieten, mit drastischen Strafen und mit Berufsverboten belegt wurden oder gar emigrieren mussten, sich die meisten Formgestalter widerstandslos bis bereitwillig den nationalsozialistischen Rahmenbedingungen anpassten. Passend zum Bild des von Daniel Goldghagen beschriebenen “Mitläufers”, kann von einem widerständigen Potenzial dieses Berufsstandes folglich kaum die Rede sein. Zweifellos ein unheilvolles Kapitel in der Geschichte der Formgebung. Eine weitere, bürokratisch aufgebaute Institution der NSDAP, das “Amt für Schönheit der Arbeit”, versuchte, funktionalistische Gestaltungsprinzipien, wie jene, die beim Volkswagen oder Volksempfänger zum Ausdruck gelangten, in den Rang eines “Volksdesign” zu erheben. Das Aussehen der Produkte im geplanten 1000jährigen Reich besteht demzufolge meist zwangsläufig aus Versatzstücken vorangegangener stilistischer Merkmale, Entwicklungen oder Epochen. “Das funktionalistische Design, dessen Produktsprache in den 20er Jahren u.a. vom Bauhaus entwickelt worden war, prägte in den 30er Jahren (…) das Erscheinungsbild der industriellen Massenproduktion, obgleich es von Anfang an vom konservativen und raktionären kulturellen Lager als “undeutsch” bekämpft worden war. (…) Die Vorherrschaft funktionalistischen Designs auch während der 30er Jahre hatte (vor allem) wirtschaftliche Ursachen”, die sich mit dem Streben nach Rationalisierung, Standardisierungen, Materialökonomie angesichts der bevorstehenden Kriegswirtschaft und ihrer notwendiger Sparsamkeit begründen lassen (vgl. Petsch, a.a.O., S. 70).

Dort, wo schließlich konkrete Fabrikprodukte zur Befriedigung des Massenbedarfes noch in Erscheinung traten, waren sie in der Mehrzahl eher funktional-solide, bürgerlich-konventionell, manchmal trivial aufgeladen (siehe die Abb. unten) oder setzten das fort, was in der Weimarer Republik bereits hergestellt worden war. Meist bilden die Gebrauchsgegenstände, wie Hausgeräte, Möbel, Fahrzeuge oder Inneneinrichtungen, ein Konglomerat zwischen schlichter, zeitgemäßer Funktionsform, bestehend aus Werkbundgedanken, Neoklassizismus, Bauhausdesign, dem Art Déco oder anderen abgekupferten Formcodes. Es blieb – gerade auch im Blick auf die produktbezogenen Wünsche der Bevölkerung – also beim schon Vorhandenen, stets flankiert durch wahnwitziges Selbstlob oder Konsum-Versprechungen, die allerdings auch im Mitläufertum leichtgläubiger oder erzwungener Massenloyalität eine paradoxe Resonanz fanden. Zu dieser Einschätzung passt, dass auch der später sehr erfolgreiche – designhistorisch gern zitierte – 1934 im Rahmen der KdF-Programme (Kraft durch Freude) von Ferdinand Porsche entwickelte “Volkswagen” eher einen Ausnahmefall bildet. Offiziell wurden seine amerikanischen Vorläufer der “Streamline” natürlich konsequent verleugnet, denn die NS-Zeit lebte vom Plagiat und der Lüge. In Falle des legendären VW »interpretierten […] die Nazis [seine] äußere Gestaltung als „Bioform“, die Deutschlands rassistische Überlegenheit demonstrieren soll.« (Thomas Hauffe)

In anderen europäischen Staaten, und besonders in den USA, konnte es aufgrund ihrer freiheitlichen Verfassungssysteme indes die Brüche in der geschilderten Form nicht geben. Die von der Bevölkerungsmehrheit dieser Länder getragene Fortschrittsidee der Moderne, die von libertinären, demokratischen Verfassungen getragen wurde, mit ihren ökonomischen Zielen von Massenproduktion, Wohlstand und Konsum, konnte sich in vielen Lebensbereichen ausgiebig als »the American way of life« entfalten. Ausgehend vom Gestaltungsrepertoire des international erfolgreichen Funktionalismus, Art Déco und des schon länger etablierten »Organic Design« (Frank Lloyd Wright) gewann hierbei die »Stromlinienform« eine zentrale Bedeutung.

»Im Produktbereich kommt es damit zu einer Annäherung an ein Prinzip, das ausgehend von den USA Mitte der 20er Jahre die weltweite Designentwicklung kennzeichnet und zuerst im Bereich der Verkehrsmittel Anwendung findet. Allen voran der aus Frankreich eingewanderte Raymond Loewy, der auf der Basis einer primär der Kommerzialisierung dienenden Produktgestaltung ›Hässlichkeit verkauft sich schlecht‹ bald die größte Design-Firma der Wellt aufbaut.«

Lindinger, a.a.O., S. 22

Erstaunlich an dieser primär wirtschaftlich motivierten Gestaltungsrichtung blieb ihre globale Verselbständigung bis in die 50eer Jahre hinein, denn die »stream-line-form« resultierte ja ursprünglich aus der Verringerung des Luftwiderstandes mobiler Dinge wie Lokomotiven, Schiffen oder Rennwagen. Was allerdings vor allem die amerikanischen Designer nicht daran hinderte, auch jenseits der physikalischen Begründung so geruhsame Gebrauchsgegenstände wie Feuerzeuge, Bügeleisen, Küchenmaschinen, Bürogeräte, Kinderwagen oder Bootsmotoren entsprechend windschnittig zu »stylen«. Als nicht aufzuhaltende Entwicklung treibt fortan das Styling von Produkten auch in Westeuropa seine sonderbaren, doch nicht minder erfolgreichen Blüten.

»Loewy, dessen Stromlinien-Styling zum Konsummotor der westlichen Welt avancierte, bezeichnete sich selbst (antagonistisch, W.S.) als “Apostel der Schlichtheit und Zurückhaltung. Gleichzeitig sagte er selbstbewusst: Ich kann von mir behaupten, ich habe den Alltag des 20. Jahrhunderts schöner gemacht.«

Raymond Loewy Foundation 2009, siehe Link im Text unten

Die Stromlinienform hingegen »als bloß technisches Prinzip der Maximierung technischer Funktionen zu deuten, wäre ganz falsch”, moniert Gert Selle. »Sie war Ende der dreißiger Jahre eine Art Kulturausdruck, sie hatte damit eine allgemeine Qualität als internationales Symbol, aber sie hatte auch eine besondere Qualität, nämlich als eine Form, die man für die deutsche Technik reklamieren und als Wertausdruck in Beschlag nehmen konnte.« (Ders., Technik und Design. In: Die nützlichen Künste, a.a.O., S. 353)

Autor*in

Stehr, Werner

Quellen

[1] Herbert Lindinger: Design im Dritten Reich

Bilder:

S1-Dampflokomotive von Raymond Leowy
Gottscho-Schleisner, Inc., photographer, Public domain, via Wikimedia Commons

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