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Industrielle Revolution und Michael Thonets Möbel aus gebogenem Holz

Michael Thonet: Bugholzstühle. a) Armlehnstuhl (1836-1840), b) Armlehnstuhl, Londoner Ausstellung 1851, c) Bugholzstuhl (Kaffeehausstuhl), Wiener Ausstellung 1851
Eigenes Werk, Public domain, via Wikimedia Commons

Die Leistungen der industriellen Revolution traten im 19. Jahrhundert zum ersten Male auf der internationalen Industrieausstellung in London in großartiger Weise in Erscheinung. Am 1. Mai 1851 wurde sie vor 25000 Festgästen und im Beisein des englischen Königspaares eröffnet. Dieses Ereignis, das im hierzu von Joseph Paxton ganz aus Glas und Eisen erbauten “Kristallpalast” stattfand, leitete das Zeitalter der Weltausstellungen ein und rückte die Bedeutung der Weltwirtschaft, des Weltverkehres und der Weltindustrie in den Blickpunkt der öffentlichen und privaten Interessen. Ohne Zweifel waren “die Weltausstellungen in materieller wie in geistiger, in nationalökonomischer wie in sittlicher, in merkantilischer wie in rein gewerblicher Hinsicht von entschiedenem Einfluß auf die Wohlfahrt der Völker”.
Schon auf der ersten Weltausstellung war die Firma Thonet mit ihren Produkten vertreten. Sie wurde damals mit einer Preismedaille ausgezeichnet, stand aber zunächst noch ganz im Schatten der berühmten Wiener Möbelfirma Carl Leistler und Sohn, in deren Diensten Michael Thonet bei der Möblierung des Liechtenstein’schen Stadtpalastes in den Jahren 1842-1847 mitgeholfen hatte. Aber schon auf der Münchener Ausstellung im Jahre 1854 wurde der Firma Gebrüder Thonet die Ehrenprämie und im Jahre 1855 bei der Pariser Weltausstellung die Preismedaille erster Klasse zuerkannt. Den Höhepunkt erreichte sie mit ihren Exponaten für die dritte Weltausstellung im Jahre 1862 in London. Der illustrierte Katalog widmete Thonet eine ganze Seite mit Abbildungen, und Wilhelm Hamm, der Verfasser des Textes, sprach die Überzeugung aus, daß hier “eine Spezialität deutschen Gewerbefleißes vorliegt, wie sie das Ausland bis jetzt noch nicht zu bieten vermag. Daher waren auch die Stühle, Fauteuils, Sofas und Tische aus gebogenem Holz ein Anziehungspunkt für alle Kenner. Diese Arbeiten lösen mit Glück und Geschick ein Problem, an welchem schon viele Vorgänger gescheitert sind. Das Thonetsche Verfahren gibt den Gebrauchsmöbeln nicht bloß größere Leichtigkeit und Festigkeit, sondern erhöht auch deren Zierlichkeit. Allerdings ist nicht zu leugnen, daß sich das Auge vorher an die neuen stabähnlichen Formen gewöhnen muß, deren gefällige Kurven an Gartenmöbel erinnern.”
Bereits im Jahre 1830 hatte Michael Thonet mit der Erzeugung von Bugholzmöbeln begonnen. Im Jahre 1842 erhielt er von der allgemeinen Hofkammer in Wien das Privilegium, „jede, auch selbst die sprödeste Gattung Holz auf chemisch-mechanischem Wege in beliebige Formen und Schweifungen zu bringen”. Michael Thonet hatte in dem Staatskanzler Fürst Metternich einen begeisterten Protektor gefunden, der ihn auch veranlaßte, aus Boppard am Rhein, wo er am 2. Juli 1796 geboren war, nach Wien zu übersiedeln. Hier kam es dann zu einem Arbeitsvertrag zwischen Carl Leistler und Thonet, den dieser im Jahre 1849 löste, um mit seinen fünf Söhnen ein eigenes Unternehmen zu beginnen. Im Jahre 1853 übertrug er ihnen das Geschäft und ließ es unter den Namen “Gebrüder Thonet” protokollieren.

Nach 1848 setzte auch in Österreich die Industrialisierung mit aller Macht ein. Alle unternehmerischen Aktivitäten wurden von Staats wegen gefördert und unterstützt. Mit Hilfe der Maschinen gelang es, die Produktion in einem ungeahnten Ausmaße zu steigern. Die Folge war ein Wirtschaftswunder mit einem neuen Komfort und einem neuen Wohlstand, den nur die Großindustrie befriedigen konnte. Michael Thonet war einer der ersten Unternehmer, der im Jahre 1856 seinen Großbetrieb im mährischen Koritschan weitgehend mit Spezialmaschinen einrichtete, die eine Massenerzeugung garantierten. Hier gelang ihm dann die entscheidende Verbesserung seines Verfahrens, nämlich alle Möbelteile, selbst die schwierigsten Biegungen, ausschließlich aus einem massiven Holzstück herzustellen. Im Jahre 1859 ging dann aus der Koritschaner Fabrik jene Sesseltype Nr. 14 hervor, die mit 50 Millionen Stück bis zum Jahre 1910 der Hauptkonsumartikel der österreichischen Bugholzmöbel geworden ist. Gleichfalls in Koritschan entstand 1860 der erste Schaukel-Fauteuil aus gebogenem Holz, von dem pro Jahr mehr als 20.000 Stück erzeugt wurden und der in der Gegenwart wieder zu einem beliebten Einrichtungsgegenstand geworden ist.
Michael Thonets Möbel wurden fast ausschließlich aus Rotbuchenholz hergestellt. Die Beschaffung des für die Produktion notwendigen Buchenholzes machte es notwendig, die Betriebe in waldreiche Gegenden zu verlegen, wo auch billige ländliche Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Dies wurde mit der Fabrik in Koritschan möglich, der bald weitere Gründungen in Bystritz am Hostein 1860, im ungarischen Groß-Ugrocz 1866, in Hallenkau auf der Herrschaft Wsetin 1868, in Radomsk (Russisch-Polen) 1880 und schließlich 1889 in Frankenberg (Hessen) folgten. Als Michael Thonet im Jahre 1871 starb, hinterließ er seinen Söhnen ein Unternehmen, das zu den glänzendsten Vertretern der österreichischen Großindustrie gehörte. Um 1900 beschäftigte die Firma über 6000 Arbeiter, die mit Hilfe von 20 Dampfmaschinen mit zusammen 1100 Pferdekräften täglich 4000 Möbelstücke erzeugten.
Bis zum Jahre 1869 garantierte das am 10. Juli 1856 erteilte Privilegium „auf die Anfertigung von Sesseln und Tischfüßen aus gebogenem Holze, dessen Biegung durch Einwirkung von Wasserdämpfen oder siedenden Flüssigkeiten geschieht”, die Alleinerzeugung. Von diesem Zeitpunkt an entstanden dann die ersten Konkurrenzbetriebe, die fast alle von Thonet geschaffenen Möbeltypen in ihre Fabrikation aufnahmen. So erzeugten um 1900 26 Firmen in 35 Fabriken mit rund 25 000 Arbeitern täglich 15 000 verschiedene Möbelstücke, darunter 12 000 Sessel. Von dieser österreichisch-ungarischen Gesamtproduktion der Möbel aus gebogenem Holze wurden ein Drittel im Inland abgesetzt und zwei Drittel ins Ausland exportiert. 1899 wurde der Handelswert der gesamten Jahresproduktion mit 18 Millionen Kronen beziffert und die Ausfuhr betrug 143 228 Meterzentner. Diese Zahlen erfuhren bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges noch eine weitere Steigerung. 1910 waren es bereits 52 Firmen, die in 60 Fabriken mit mehr als 35 000 Arbeitern die Thonetsche Erfindung verwerteten. Diesen einmaligen Aufschwung eines Industriezweiges verdankte das Thonetsche Mobiliar seiner Materialgerechtigkeit und konstruktiven Wahrheit. Während die kunstgewerbliche Reformbewegung die Orientierung an der Vergangenheit propagierte, folgte Thonet allein der Logik und Sachlichkeit des Materials und der sich daraus mit Hilfe der Maschine ergebenden zweckmäßigen Formen. Als „Wiener Möbel” haben die Bugholzerzeugnisse ihren Siegeszug um den ganzen Erdkreis angetreten und damit mehr als jedes andere Industrieprodukt nicht nur zum österreichischen „Nationalwohlstand” beigetragen, sondern auch die Ziele der industriellen Revolution und der kunstgewerblichen Reformbewegung verwirklicht.

Autor*in

Mrazek, Wilhelm

Werk

In: Bugholzmöbel – Das Werk Michael Thonets. Ein Wiener Sessel erobert die Welt. Hrsg. Östereichisches Bauzentrum, Wien o. J. (Katalog, o. S.)

Quellen

Michael Thonet: Bugholzstühle.
a) Armlehnstuhl (1836-1840),
b) Armlehnstuhl, Londoner Ausstellung 1851,
c) Bugholzstuhl (Kaffeehausstuhl), Wiener Ausstellung 1851
Eigenes Werk, Public domain, via Wikimedia Commons

“File:Moravská galerie 02 – Thonet-Mundus křeslo.jpg” by Dominik Matus is licensed under CC BY-SA 3.0

“Armchair model1, about 1859, designed and manufactured by Thonet Brothers” by Kotomi_ is licensed under CC BY-NC 2.0

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