Designentwicklungen

Designentwicklungen – Warum verändert sich Design?

Unsere Gesellschaft ist einem permanenten Wandel unterworfen. Als eine Facette von Kultur betrifft dieser Wandel auch das Design. [1] Wäre Design ein statischer Zustand, so hieße die Prämisse für Gestalter, dass man nur „das Richtige“ entwerfen müsse, und dann wäre die Arbeit getan. Einmal entworfen, für immer produziert. Doch sogar Designklassiker sind der Regel unterworfen, dass Produkte über kurz oder lang durch andere ersetzt werden.
Oft ist nicht Verschleiß der Grund, dass etwas Neues her soll, sondern eine diffuse Unlust, einen Gegenstand länger zu benutzen oder anzusehen. Nicht sein Funktionieren ist dann veraltet, sondern sein Design, ein Umstand, der Mode in Bewegung hält. Das Bedürfnis nach neuen Dingen an visueller Abnutzung festzumachen, greift jedoch zu kurz. Vielmehr ist unsere Dingwelt mit seiner Variantenvielfalt [2] Ausdruck gesellschaftlicher Dynamik und der damit einhergehenden Haltungen.

Sozialer Wandel, etwa die Tendenz zum Singlehaushalt, verändert die Auffassung von der Umwelt und damit die Art und Weise, sie zu interpretieren. Technische Innovationen eröffnen neue Möglichkeiten, Produkte zu kreieren. Veränderte wirtschaftliche Bedingungen beeinflussen den Produktionsprozess und Marktbedingungen. Alle drei Faktoren sind miteinander verflochten und beeinflussen die Gestaltung von Produkten.

Im zivilisatorischen Wandel etwa der Küche zeigt sich, dass technische Innovationen auch immer soziale und kulturelle Wandlungen nach sich ziehen. Die Erfindung des Kühlschranks beispielsweise eröffnete neue Wege der Vorratshaltung und Lagerung, was wiederum Nahrungsauswahl und Essgewohnheiten beeinflusste. Umgekehrt lösen soziale Umwälzungen einen technischen Innovationsdruck aus. Erfunden und umgesetzt wird dabei nur, was der gesellschaftliche Wandel erfordert. Die alternative Bewegung Ende der 70er Jahre veränderte mit ihrem ökologischen Anspruch nachhaltig das Bewusstsein darüber, welche Nahrung wir zu uns nehmen und wie wir miteinander leben wollen und wurde damit zur Patin von Bioläden und Ökolabels. Auch das kommunikative Konzept der offenen Küche wurde nicht zuletzt unter dem Eindruck alternativer Prämissen erdacht. Ohne entsprechenden Bedarf jedoch gäbe es weder Bioläden noch offene Küche.

Designbegriffe

Designbegriffe – Was ist Design? 

Jeder kennt heute das Wort Design, [1] doch die Vorstellungen darüber, was Design eigentlich bedeutet, unterscheiden sich beträchtlich. Die einen  meinen mit Design etwas Überflüssiges, das auf ein Produkt appliziert wurde. Oder andere preisen ihr Sofa als Designer-Sofa und meinen damit  eine bunte, auffällige oder irgendwie schräge Spielart des Sitzmöbels. Wieder andere assoziieren mit Design zuallererst Kostspieliges. Hinter diesen Beispielen unterschiedlicher Designauffassungen stecken Vorstellungen, Design sei etwas, das einem Gegenstand als ästhetisches Extra hinzugefügt wurde bzw. etwas, das ein Gegenstand hat und ein  anderer nicht. Doch Design ist keine Eigenschaft. 

Sprachgeschichtlich kommt das Wort Design vom italienischen „Disegno“. Im „Oxford English Dictionary“ aus dem Jahre 1886 wird Design zum ersten Mal erwähnt und beschrieben als ein von einem Menschen erdachter Plan oder ein Schema von etwas, das realisiert werden soll; zweitens als ein zeichnerischer Entwurf für ein Kunstwerk oder Objekt der angewandten Kunst, der für die Ausführung eines Werkes verbindlich sein soll¹. Design umfasst also zunächst nicht viel mehr als die einer Arbeit zugrunde liegende Konzeption. Sobald eine planerische Absicht oder ein Entwurf, einem Produkt zugrunde liegt, das arbeitsteilig hergestellt wird, handelt es sich um Design. Dem entsprechend kann es im industriellen Kontext kein Nicht-Design geben.

Aus dieser Definition ergeben sich Grauzonen, die in der Praxis die Abgrenzung zwischen künstlerisch-handwerklicher Produktion und industriellem Design verwischen. 

Design als Schnittmenge zwischen Produktion, Marketing und Gebrauch

Obwohl als Wort schon im 16. Jahrhundert verwendet, kann man von Design in seiner heutigen Begriffsbedeutung frühestens ab der  Industriellen Revolution sprechen. Bis dahin hatte die Produktion von Gegenständen zum größten Teil in der Hand von Handwerkern gelegen. Sie fertigten nach konkreten Aufträgen ihrer Kunden und passten sich deren individuellen Wünschen an. Sollten beispielsweise Türbeschläge und Schlösser für ein neues Haus hergestellt werden, fertigte ein Kunstschmied die Beschläge nach seinem individuellen Repertoire und  regionaler Tradition, von der Zeichnung bis zur Ausführung und je nach  Geldbeutel und Kundenwünschen. Rationelle Massenproduktion, Lagerhaltung für eine anonyme Käuferschaft und das Prinzip der Arbeitsteilung brachten im 19. Jahrhundert eine Trennung von Gestaltung und Herstellung mit sich. Der Designer war geboren. Als „Musterzeichner“ lieferte er Produktvorlagen für die  Maschinenparks in den Fabriken. 

Normen, Serien und Natur 

Um eine nennenswerte Anzahl von immer gleichartigen Produkten produzieren zu können, war es nötig, zunächst Werkzeuge und Maschinen zu vereinheitlichen und bestimmte Maßeinheiten festzulegen. Sodann wurden auch die Einzelteile eines Produktes normiert. Die Schaffung solcher Standards war eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Massenfertigung. Neben der Normierung begannen Unternehmen, ihre Produktpalette zu  typisieren. Das heißt, die verschiedenen Produkte bekamen mehrere Varianten, die dann unterschiedlich miteinander kombiniert wurden. So  ließen sich aus wenigen Grundtypen viele Varianten bilden, die wiederum  unterschiedliche Käufervorlieben bedienen konnten. Mechanisierung, Standardisierung und Typisierung wurden zum Grundprinzip der Massenfertigung. Seit der Industrialisierung beschäftigen sich Gestalter mit der Frage, wie man einen Gegenstand so entwickeln kann, dass er maschinell möglichst kostengünstig gefertigt werden kann und gleichzeitig  eine für den Menschen ansprechende Form hat. 

Die Industrialisierung schuf nicht nur die Möglichkeit, Gegenstände massenhaft zu produzieren. Sie bewirkte am Anfang auch die weite Verbreitung einer Ästhetik, die bisher nur dem fürstlichen Adel vorbehalten war. Besonders attraktiv erschien die Verwendung von Dekor als Zeichen von Wohlstand und Kostspieligkeit. Formen der Schnitzereien und  Intarsien oder feinsten Ziselierungen, die von Handwerkern einst kunstvoll hergestellt worden waren, übertrugen Musterzeichner nun auf alle  möglichen Industrieprodukte. In vergröberten Varianten spuckte die Maschine sie im Minutentakt für Prunkschalen, Kommoden, Leuchter und  dergleichen mehr aus.  Doch sollten neue technische Erfindungen in alte Formen „verpackt“  werden? Wie könnten elektrische Lampen, Nähmaschinen oder Automobile aussehen? Wie von Handwerkern gemacht? Wenn nicht, welche Formen sollte man den von seelenlosen Maschinen gestanzten, gefrästen und gegossenen Gegenstände dann geben? 

Den us-amerikanischen Architekten Louis Sullivan trieb um 1896 eine  ähnliche Frage um, nämlich wie neuartige Hochhäuser zu gestalten seien:  „Wie sollen wir aus der schwindelnden Höhe dieses so andersartigen, unheimlichen, modernen Hauses die frohe Botschaft des Gefühls, der  Schönheit … verkündigen?“ Die Lösung der Frage lag für Sullivan  paradoxerweise in der Orientierung an die Natur²: 

„Jedes Ding in der Natur hat eine Gestalt, das heißt eine Form, eine  äußere Erscheinung, durch die wir wissen, was es bedeutet, und die es  von uns selbst und von allen anderen Dingen unterscheidet. In der Natur bringen diese Formen das innere Leben, den eingeborenen Wert der Geschöpfe oder Pflanzen, die sie darstellen, zum Ausdruck; sie sind so charakteristisch und unverkennbar, dass wir ganz einfach sagen, es sei ‚natürlich’, dass sie so sind… Ob wir an den im Flug gleitenden Adler, die geöffnete Apfelblüte, das schwer sich abmühende Zugpferd, den  majestätischen Schwan, … die ziehenden Wolken oder die über allem  strahlende Sonne denken: immer folgt die Form der Funktion.“ 

Volker Fischer, Anne Hamilton (Hg.): Theorien der Gestaltung. Grundlagentexte zum Design, Band 1. Franfurt / Main 1999, S. 144

Louis H. Sullivans Kerngedanke war, dass die Form die logische  Konsequenz des Inhalts, das Wesen eines Dinges sei. Obwohl er „form  follows function“ zunächst auf die Architektur von hohen Bürogebäuden bezogen hatte, ist dieser Satz wegen seiner aus dem ursprünglichen Kontext gelösten Abstraktheit seit über 100 Jahren das zentrale  Paradigma des Designs. 

Design ist also keine Oberflächengestaltung, sondern entwickelt sich quasi  von innen nach außen. Von den Zielsetzungen ausgehend entsteht die Form. 

Form, Funktion und rechter Winkel 

Louis H. Sullivans Leitsatz „form follows function“ beschreibt das Verhältnis zwischen dem Zweck eines Gegenstandes und seiner Form und wurde zur  Grundformel einer internationalen Designauffassung, die in Deutschland als Funktionalismus bis weit in die 80er Jahre allgemeingültig war. Das Fundament dieser Denkrichtung wurde am Anfang des Jahrhunderts vom Deutschen Werkbund und Gestaltern wie Peter Behrens, Walter Gropius, Adolf Loos und anderen gelegt. Als Gegenreaktion auf die ausufernden Dekorierungsorgien des Historismus kämpften sie für die dem reinen Zweckgedanken folgende Gestaltung. Doch erst nach dem 2. Weltkrieg erlebte der Funktionalismus seinen Durchbruch. Dieter Rams [2], über 30 Jahre Leiter der Abteilung Produktgestaltung des Elektrogeräte- Herstellers Braun, erinnert sich an die Prämissen: “Konsequent, funktionsorientiert, sehr klar, geordnet, einfach, transparent. Hier war eine Vorstellung von brauchbarer, durchdachter, humaner Gestaltung  verwirklicht.” Der rechte Winkel schien als Symbol für Sachlichkeit und Funktionalität am  besten geeignet. Ob im Stadtraum, in der Wohnung, bei der Arbeit oder auf dem Küchentisch, der Siegeszug des Funktionalismus’ war unaufhaltsam. Doch mit seinem Erfolg wuchs auch das Unbehagen an einer zunehmenden ästhetischen Verarmung. Immer mehr Kritiker begannen sich gegen Ende der 60er Jahre zu fragen, ob die geglätteten Produkte, wenngleich sie hervorragend funktionierten, nicht eher steril als human wirkten. Nach Jahren der theoretischen Auseinandersetzung formierten sich schließlich Anfang der 80er Jahre immer mehr Designer, die mit ironischen Provokationen die gängigen Designregeln des  Funktionalismus’ auf den Kopf stellten. Allen voran die Gruppen Alchimia und Memphis in Italien, die von der systemkritischen Design-Bewegung Radical Design von Italien ausgehend wesentlichen Einfluss auch auf die weitere Designentwicklung in Deutschland hatten. In Memphis’ und Alchimias Arbeiten formulierte sich ein völlig neues Verständnis von Design. Es wurde zum Frontalangriff auf eine bis dahin allgegenwärtige puristische Ästhetik. Mit Witz, Ironie und Provokationen machten v.a. junge Designer auf ein Riesenmanko der bisher herrschenden Designdoktrin aufmerksam: dem Fehlen von Emotionen und  Sinnlichkeit. Und tatsächlich konnte die Formel „form follows function“  keine Antwort darauf geben, warum Menschen emotionale Objektbeziehungen zu Gegenständen aufbauen, warum manche einen bestimmten Kaffeetopf lieben oder nur diese eine Automarke fahren wollen. 

Medien, Wirtschaft und ein Workshop 

Das neue, emotionsgeladene Design der 80er Jahre verursachte nicht nur ein nachhaltiges Umdenken in der Formgebung, es führte auch zu neuen Konzepten in Herstellung und Vertrieb. Die meist in Kleinserie handwerklich hergestellten neuen Möbel und Accessoires der Designrebellen wurden auf Ausstellungen wie Kunstwerke präsentiert, in neu entstandenen Designgalerien vertrieben oder einfach auf Bestellung verschickt. 
Riesengroß war das Medieninteresse am neuen Design in den 80er und 90er Jahren. Nicht wenige Designer mit Talent zur Selbstdarstellung schafften den Sprung aus den Fachblättern in die Wochenmagazine und Tageszeitungen. Bekanntestes Beispiel ist der Franzose Philippe Starck, der mit unkonventionellen Entwürfen und unverwechselbarem Stil weltweit bekannt wurde. 

Werte, Differenz und nationale Vorlieben

Die wilden Jahre des postmodernen Designs fallen nicht von ungefähr in  die Zeit von Digitalisierung, Pluralisierung und Glasnost. Durch die  Globalisierung im letzten Jahrzehnt nahmen die unterschiedlichen kommerziellen und ethischen Handlungsvoraussetzungen bei Designern, Herstellern und Käufern noch zu. Als Ergebnis der gesellschaftlichen Umwälzungen treffen Produkte in der westlichen Welt auf eine inzwischen stark ausdifferenzierte Käuferschaft mit wankelmütigem Verbraucherverhalten und extrem verschiedenen Geschmacksrichtungen. Design ist dem dynamischen Prozess des Wandels direkt unterworfen. 

Neben gesellschaftlichen Umwälzungen sind auch technische  Innovationen für ein neues Design verantwortlich. Spätestens mit der Digitalisierung trennte sich das technische Innenleben der Gegenstände von der Form. Wir verstehen nicht wirklich, was sich im Inneren abspielt, wenn wir telefonieren, CDs hören oder am Computer arbeiten. Wie dann ‘das Wesen eines Dinges’, von dem Louis Sullivan einst ausging, in die Außenform transformieren, zum Beispiel das Innenleben eines  Mikrochips? Designer konzentrieren sich bei technischen Produkten dieser Art stattdessen auf die Lösung ergonomischer Anforderungen. Und sie legen Wert auf die emotionale Qualität der Produkte. 

In unserer immer stärker ausdifferenzierten Warenwelt ist Design heute  also weit mehr als die Lösung von Form- und Funktionsproblemen. Vor allem emotionale und marketingrelevante Faktoren wurden in den Begriff integriert. Design wird zum Kommunikationsmittel, denn jedes Produkt transportiert Einstellungen und Werte. 
Ob billig hergestellt und teuer vermarktet, ob aus hochwertigen Materialien  und auf Langlebigkeit hin ausgelegt – das produzierende Unternehmen drückt mit seinen Erzeugnissen ebenso Haltungen aus wie der verantwortliche Designer und spätere Käufer. Sogar nationale Unterschiede und Vorlieben lassen sich anhand der Wahl der Gegenstände ablesen. 

Design contra Kunsthandwerk – ein Streit ohne Zukunft

Es ist ein bewährtes Mittel, einem Produkt das Etikett “kunstgewerblich” zu verpassen, um es in Diskussionen um Gestaltung wirkungsvoll abzuqualifizieren. Sachliche Begründungen gibt es selten, der bloße Eindruck reicht, Widerspruch ist zwecklos. Wie Kaugummi oder Schlimmeres bleibt so ein verunglimpfendes Etikett kleben. Aufmerksamkeit verspricht dagegen das Wörtchen “Design”. Jeder Kunsthandwerker, der sich aus dem diskriminierten Getto des Kunstgewerbes herausbemüht, weiß um die imagehebende Wirkung dieses Zauberwörtchens. Schmuck-, Holz-, Papier- plus design; solche Kombinationen verheißen Teilhabe an Zeitgeist, Lifestyle und Avantgarde. Obwohl Design als Entwurfstätigkeit für Serienfertigungen genau definiert ist, sind Ziel, Gegenstand und Qualität von Design ein beliebter, weil kontroverser Gesprächsstoff – meist ebenso abendfüllend wie ergebnislos. Davon unbeschadet ist die hohe Wertigkeit des Wortes “Design”. Obwohl es bloß eine Tätigkeit beschreibt ist es so eindeutig mit Werten wie Fortschrittlichkeit, Intelligenz, Überlegenheit und Modernität besetzt, daß Werbestrategen es schon als Produktnamen entdeckt haben, um ein schlichtes Haargel zu einem zukunftsweisenden Produkt zu stilisieren. (Dagegen unvorstellbar: ein Lippenstift mit dem Namen “Kunstgewerbe” ! Wer wollte bestreiten, daß Kunsthandwerk und Kunstgewerbe aus der Mode gekommen sind. Allerdings nur die Begriffe, nicht die Tätigkeiten. Von den Produkten, die das designbemühte Heim schmücken, sind tatsächlich sehr viel mehr handwerklicher Natur, als es vielen bewußt ist. Jeder wünscht sich Gegenstände des täglichen Gebrauchs, die so preiswert wie Industrieprodukte sind, so individuell wie Kunstgegenstände und so traditionsreich und qualitätvoll wie solide Handwerksprodukte. Ein gemeinsames Dach für gestaltendes Handwerk und Design verspricht der Terminus “Angewandte Kunst”. Aber auch er schafft nicht wirklich Einigkeit, eignet sich allenfalls als Mittel der Selbstbehauptung und der Abgrenzung gegenüber der stets höher bewerteten Freien Kunst. Angesichts der zuweilen irrationalen Bewertungen von ästhetischen Prozessen wollen viele Gestalter mit der Kunst lieber gar nicht erst zu tun haben. Welcher Industriedesigner mag sich schon als Angewandter Künstler bezeichnen lassen?

Keine Frage: es herrscht Begriffsverwirrung in der Gestalterszene. Dies ist weder ein Grund zur Beunruhigung, noch zur Änderung. Es ist allerdings ein Zeichen der Zeit. Meist ist Neues in der Entstehung, wenn alte Begriffe unpräzise werden, nicht mehr passen, wenn sie zur Disposition stehen oder gar durch neue ersetzt werden. Je mehr sich die Arbeitsgebiete der Kunsthandwerker und der Designer überschneiden weil sich die Konsumgewohnheiten, die Produktions- und Vertriebsbedingungen in den letzten Jahrzehnten verändert haben, desto eifriger grenzen sich die Berufsgruppen in ihrem Selbstverständnis voneinander ab. Im Vorurteil der Kunsthandwerker sind viele Designer mode- und marktversessene Oberflächengestalter, ohne Sinn für künstlerischen Ausdruck, für das Wesen des Materials und für individuelle Gestaltung. Dagegen unterstellen die Industriedesigner den Kunsthandwerkern unzeitgemäße Arbeitsweisen. Begründung: Sie zäumten die Gestaltung der Dinge von hinten auf. Zu eng seien sie auf hochwertige Unikate in immer denselben Materialien fixiert und dächten gestalterisch kaum weiter, als von der Werkbank bis zum Ladentresen, statt in komplexen Lösungsstrategien den Bogen weit zu spannen von der Umwelt über den Nutzer und den Markt bis zum Produkt und seinen Funktionen. Dieses pauschale Vorurteil mag jedem aus der Seele sprechen, der sich klammheimlich all jene “Werker” in die geschützten Reservate der Boutiquen, Galerien und Geschenkmessen wünscht, die Jahr für Jahr in Wettbewerben und auf Ausstellungen dem Heer an staubfangenden CD-Ständern, stummen Dienern und Teestövchen unbekümmert immer neue Exemplare hinzugesellen. Doch wer diese Gestaltungsautodidakten dem Kunsthandwerk zurechnet, tut der traditionsreichen Disziplin unrecht. Tatsächlich hat erst die Sinnkrise in der Architektur und dem Design der 70er und 80er Jahre jene Vielfalt an Produktgestaltern auf den Plan gerufen, die mit experimentellen Einzelstücken die Szene revolutionieren wollten. Was zynische Kunststudenten oder ambitionierte Heimwerker, arbeitslose Designer oder gestaltungswütige Handwerker in missionarischem Eifer zusammenschraubten, -schweißten und -steckten hat zweifellos wichtige Impulse gegeben. Es hat aber auch dem Ruf des Kunsthandwerks geschadet, weil es mit ihm verwechselt wurde und wird. Man übersieht allzu leicht, daß es heute eine beachtliche Zahl von Kunsthandwerkern gibt, die sehr erfolgreich für Industrieunternehmen arbeiten, für sie Prototypen an Schreibgeräten, Möbeln, Bestecken oder Gefäßen entwickeln. Sie in Serienprodukte umzusetzen, verlangt von der Industrie mitunter hohe Fertigungsqualität, die häufig die Grenzen ihrer Möglichkeiten offenbaren.

Daneben haben sich in den letzten Jahren viele Netzwerke von Produktionsstätten und Vertriebswegen etabliert, in denen industrielle Halbzeugproduktionen und handwerkliche Arbeitsweisen Hand in Hand gehen. Für die Produktgestalter, die in solchen Grenzbereichen zwischen Design und Kunsthandwerk tätig sind, ist unwichtig, ob sie nun als Kunsthandwerker oder als Designer handeln. Zweifellos sind sie ihrer Arbeitsweise nach Kunsthandwerker. Die ihnen gestellte Aufgabe jedoch, die sich nicht an (handwerklicher) Auftragsproduktion, sondern an den (industriellen) Bedingungen der Vorratsproduktion orientiert, ist die eines Designers. Als solcher setzt der Kunsthandwerker zwar nicht vorrangig seine Entwurfs- und Planungsfähigkeit ein, dafür aber seine Fach- und Materialkenntnis.

Die Zusammenarbeit von künstlerischer Gestaltung, Handwerk und Industrie ist ja keineswegs eine neue Erscheinung. Für ihre große Vergangenheit stehen die Bemühungen von Werkbund und Bauhaus, die dem Kunstgewerbe Wege aus jener Krise gewiesen haben, die die Industrieproduktion ausgelöst hatte. Das enge Zusammenwirken, welches man damals schon gefordert hatte, ist noch immer kaum verwirklicht. Aber es gibt hoffnungsvolle Ansätze: Viele Handwerksakademien arbeiten an einer Verbesserung der “Gestaltung im Handwerk”. Neue manufakturell und halbindustriell arbeitenden Produktionsformen und Vertriebsnetze entstehen, an denen ganz wesentlich Handwerker und Designer beteiligt sind. Und schließlich machen immer mehr Möbelbauer – ob im Design oder im Handwerk ausgebildet – von sich reden, die in Ermangelung von Industrieaufträgen ihre Entwürfe in mehr oder weniger kleinen Serien auf den Markt zu bringen versuchen. Solche neuen Wege bieten gerade Designern und Handwerkern gute Zukunftschancen, die in solchen Wirtschaftsregionen tätig sind, die sich erst noch entwickeln oder die abgeschieden sind von den großen industriellen Zentren. Die tief wurzelnden Berührungsängste zwischen Kunsthandwerkern und Designern sind nur zu überwinden, wenn beide Seiten von der Vorstellung der Über- und Unterordnung von Kopf- und Handarbeit abrücken, wenn die “Kunst” im Handwerk kein Wert an sich mehr ist und wenn schließlich beide Bereiche in einem klugen Management koordiniert werden. Berufe des “Handwerksdesigners” und des “Managers für handwerkliche Produkte” haben Zukunft. Mit ihnen lassen sich die Leistungen mehrerer Selbständiger zusammenbinden, die für die erfolgreiche Vermarktung eines handwerklichen Serienproduktes vonnöten sind. Keiner der an so einem Prozeß beteiligten Partner kann allein diese Managementleistung erbringen, für die jedes Industrieunternehmen über bewährte innerbetriebliche Strukturen verfügt. Handwerker und Designer werden nur zeitgemäß arbeiten können, wenn der Entwurf, die Produktion und – als dritte, wesentliche Größe – der Vertrieb aufeinander abgestimmt sind, wenn keiner der drei Bereiche allein zu handeln versucht. Um solche neuen Formen der Zusammenarbeit erfolgreich zu praktizieren werden alle umdenken müssen: Ausbildungsstätten, Kammern und Verbände, Industrie und Handel und nicht zuletzt Designzentren und Museen. Gerade letztere Institutionen, die großen Einfluß haben, weil sie über den engsten Kontakt zu den Medien verfügen, kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Sie sollten der dem Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit unangemessenen Neigung, wertend zwischen Original und Kopie, Kopf- und Handarbeit, Unikat und Serie, Handwerks- und Industrieprodukten zu unterscheiden, ein Ende bereiten. Mehr denn je ist uns allen heute die Vergänglichkeit der Dinge bewußt. Bei jedem Gegenstand, den man heute konzipiert, wird dessen Entsorgung mittlerweile mit geplant. Entscheidend wird zukünftig die Qualität dieser Planung sein und nicht die Frage, ob ein Beistelltischchen von einem Kunsthandwerker oder einem Designer gestaltet wurde.