Skip to content

Handwerk und Industrie im 19. Jahrhundert

Thonet Fauteuil
“Thonet Fauteuil” by Franco Rabazzo is licensed under CC BY-NC-SA 2.0

Von England ausgehend ist das 18. und 19. Jahrhundert expansiven wirtschaftlichen Wandlungsprozessen unterworfen. Ihre Voraussetzungen werden von dem Wirtschaftshistoriker W.O. Henderson mit den günstigen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sowie den aufkommenden Fortschrittsideen in Wissenschaft und Forschung in Verbindung gebracht. Monokausale Erklärungen erscheinen unzureichend, allzu verwoben ist die Vielzahl der Einflussfaktoren. Begleitet wie beschleunigt wurde der Strukturwandel durch eine Veränderung der Lebensverhältnisse (Stichwort: Landflucht) ebenso wie durch viele Erfindungen, die wiederum technologische Neuerungen nach sich zogen und fortan alle gesellschaftlichen Lebensbereiche durchdrangen. Toynbee, ein Chronist dieses Wandels, notiert 1898:

»Das Wesen der Industriellen Revolution ist die Einführung des Wettbewerbs anstelle der mittelalterlichen Reglementierungen, die früher Produktion und Verteilung des Wohlstands kontrollierten.«

Toynbee

Der Umschwung drängte die oft noch mittelalterlich-zünftig organisierte handwerkliche und agrarische Produktion in den Hintergrund. Waren die meisten seit alters her bewährten Gerätschaften und Gebrauchsdinge bisher noch meist von spezialisierten Handwerkern geschaffen worden, die ihr Leben lang Dinge vom gleichen Typ herstellten, bildete sich nun als effektivere Produktionsstätte der Manufaktur und in ihrer Folge die Fabrik heraus. Der Prozess zu immer größeren Produktionsstätten verlief also fließend. Als eindrucksvolles Beispiel gilt Adolph v. Menzels (1815 – 1905) zeitgenössisches Bild »Eisenwalzwerk«, das die neuen industriellen Produktionsverfahren einschließlich ihrer aufgespaltenen Arbeitsteilung zeigt. Auch bereits bestehende kleinere Betriebe entwickelten sich durch mechanisierte Produktionsverfahren zu rationellen Fabriken mit steigendem Output. Benjamin Franklin (1706 –1790) wird der schlagwortartige Appell »Remember that Time is Money« zugeschrieben, denn der intensivierte Gradmesser allen Fortschritts liegt in der Erzielung eines möglichst großen Profits. Zugleich hält die antreibende und alles beherrschende Uhr-Zeit Einzug in alle Lebenswelt der Menschen. Ihr Diktat verdrängte den Tagesrhythmus der hergebrachten »Natur-Zeit«, die zuvor den Alltag bestimmt hatte. In immer kürzeren Zeiteinheiten ließen sich fortan beliebige Gebrauchsgüter in immer größeren Stückzahlen herstellen.

Mit dem Anlaufen einer solcherart organisierten Massenfertigung von Dingen mussten die traditionellen Handwerker zwangsläufig unter Druck geraten. Maschinen wurden als Bedrohung erlebt und die Angst vor einer gänzlichen Abschaffung der Arbeit griff um sich, zumal der Strukturwandel einherging mit einem erbarmungslosen »Herabdrücken der Produktionskosten« (Morris). Die gnadenlose Minderung der Lohnkosten wiederum erhöhte die Not der Lohnabhängigen – bei gleichzeitig günstigen Verkaufspreisen für Verbraucher. Genau diese soziale Problemlage ließ in England zwischen 1811 und 1818 die Bewegung der »Maschinenstürmer« entstehen. Als neues Berufsbild entstand der Mechaniker: In arbeitsteiligen Verfahren fertigten seine Hände Erzeugnisse – einerlei ob Kaffeemühle, Küchenstuhl, Droschke oder Dampflokomotive – die hauptsächlich unter der Prämisse ihrer Marktchancen und damit ihren Verkaufsmöglichkeiten gefertigt wurden. Begonnen hatte dieser Entwicklungsprozess vor allem mit James Watts (1736 – 1819) Erfindung der Niederdruck-Dampfmaschine 1782. Wohl keine Technik der europäischen Geschichte, ja, der Weltgeschichte, hat die soziokulturelle und zivilisatorische Landkarte grundlegender verwandelt als seine bahnbrechende Idee maschineller Krafterzeugung. Parallel mit der rasanten Veränderung zugunsten mechanisierter Produktionsverfahren wächst zugleich der immense Bedarf an Arbeitskräften zur Fertigung und Verteilung dieser Güter. Designgeschichtlich ist bedeutsam, dass für den seriellen Herstellungsprozess von Waren diese im Vorfeld zunächst erdacht, entworfen und im Blick auf Absatzchancen und Kosten kalkuliert werden müssen. Die dafür zuständigen Vorläufer der Designer, wenn man sie schon so nennen will, die über das Aussehen oder die Gestalt eines Erzeugnisses entschieden, waren noch meist die Ingenieure oder Fabrikbesitzer persönlich. Erst im weiteren Folgeprozess fortschreitender Massenproduktion und Spezialisierung tritt ein größerer Bedarf an Fachleuten zu Tage. Sie hatten sich nun um nichts anderes zu bemühen als um eine möglichst zweckmäßige und ästhetischen Gestaltung der Objekte. In Deutschland gilt diese historische Phase als Geburtsstunde des industriellen Designers.

Print Friendly, PDF & Email