Designbewertungen – wie Design beurteilen?
Die Frage nach geeigneten Bewertungskriterien im Design ist so alt wie das Design [1] selbst und bis heute nicht erschöpfend beantwortet. Peter Zec, Geschäftsführer des Designzentrums Nordrhein Westfalen, hält gutes Design für „prinzipiell unentscheidbar“: „Es ist einfach nicht möglich, eine präzise Formel oder ein logisch begründbares Regelwerk über die qualitative Bestimmung von Design aufzustellen!1“. Form [2] und Funktion von Produkten sind klar erkennbar und beschreibbar; doch wie das Gesehene bewerten? Und nach welchen Maßstäben die differenzierten kommunikativen, symbolischen und emotionalen Facetten [3] eines Produktes beurteilen? Gerade wegen dieser kaum zu bewertenden Dimension des Designs, ziehen sich Profis wie Laien meist auf die funktional-ästhetische [4] Ebene zurück. Designjurys diskutieren bei eingereichten Produkten gewöhnlich Faktoren wie Gebrauchsnutzen, innovations- und Veränderungspotential, Nachhaltigkeit und Gebrauchsvisualisierung und ob das Design eines Produktes seine Handhabung für den Benutzer klar ablesbar macht. Dass Design das Verhältnis von Mensch zu Objekt zum Ausgangspunkt der Gestaltung hat, wird dabei vorausgesetzt.
Jede Bewertung ist auch vom jeweiligen Blickwinkel abhängig. Für Unternehmen beispielsweise ist ein Produkt dann gelungen, wenn es zum Markenprofil passt, die Marke aufwertet und Gewinn bringt, materiell wie immateriell. Fachjurys geben mit Designpreisen zwar klare Statements darüber ab, was sie unter gutem Design verstehen, der Gebraucher kann unter gutem Design etwas ganz anderes verstehen. Ähnlich wie bei Filmen oder Büchern, Modekollektionen oder Bauten bedingt eine gute Kritik nicht zwangläufig auch kommerziellen Erfolg.
Von Bewertern, Bewertungen und Bewertbarkeit
Ein Produkt erfüllt nicht nur technisch-praktische Funktionen [5], sondern beinhaltet auch ästhetische und symbolische Funktionen. Während die Bewertung von technisch-praktischen Funktionen relativ einfach, weil überprüfbar ist, lässt sich die Ästhetik eines Produktes nur eingeschränkt beurteilen, denn sie ist geschmacksabhängig. Geschmack wiederum ist das Ergebnis von Sozialisierung, er ist geschlechts-, nationalitäten- und milieuabhängig, und Bewerter sollten sich dessen bewusst sein. In der eingeschränkten Beurteilbarkeit von Ästhetik steckt ein Paradox, denn gerade die Ästhetik eines Produktes ist ja wesentliches Hauptunterscheidungsmerkmal zu anderen.
Noch schwieriger wäre eine Bewertung der symbolischen Funktionen [6]. Auf sozialer Ebene geht es hier um Gruppenzugehörigkeit und um Status. Auf individueller Ebene um die Gefühlsbindung an Objekte. Design ist gewissermaßen eine von mehreren möglichen Sprachen, die über verschiedenste Lebensstile und -auffassungen Auskunft gegen können. Klare, sachliche Gestaltung etwa steht für Rationalität, Aufgeschlossenheit, Modernität und Fortschritt, kann aber auch als emotionale Kälte interpretiert werden. Produkte sind Zeichen [7] eines Lebensgefühls, dem sein Besitzer Ausdruck verleiht. So gesehen kann der Einzelne eigentlich nur bewerten, ob er mit den zum Ausdruck gebrachten Botschaften des Besitzers, mit den Zeichen, einverstanden ist oder nicht.
Obwohl vieles dafür spricht, Design als im Prinzip unbewertbar zu sehen, versuchen Designinstitutionen mittels Designpreisen zu vermitteln, was gutes Design sein könnte. Dabei wird die Thematisierung und damit Bewertung emotionaler bzw. symbolischer Funktionen weitgehend ausgeklammert und so vermieden, mit moralischen Kategorien zu bewerten. Das war nicht immer so.
Der Schweizer Soziologe und Designkritiker Lucius Burckhardt etwa stellte 1977 normative Kriterien für ein neues Design zusammen2. Er fragte:
- Besteht es aus Rohstoffen, die ohne Unterdrückung gewonnen werden?
- Ist es in sinnvollen, unzerstückelten Arbeitsgängen hergestellt?
- Ist es vielfach verwendbar?
- Ist es langlebig?
- In welchem Zustand wirft man es fort, und was wird dann daraus?
- Lässt es den Benutzer von zentralen Versorgungen oder Services anhängig werden, oder kann es dezentralisiert gebraucht werden?
- Privilegiert es den Benutzer, oder regt es zur Gemeinsamkeit an?
- Ist es frei wählbar, oder zwingt es zu weiteren Käufen?
Für Lucius Burckhardt hat Gestaltung damit auch gesellschaftspolitische Forderungen zu erfüllen. Dieter Rams [8], einer der bekanntesten deutschen Produktdesigner und Jahrzehnte lang Chefgestalter der Braun AG, argumentiert 1990 in seinen „Zehn Regeln für gutes Design“ weniger politisch als vielmehr ästhetisch3:
Gutes Design
- ist innovativ.
- trägt zur Nützlichkeit des Produktes bei.
- ist ästhetisches Design.
- macht ein Produkt leicht verständlich.
- ist unauffällig.
- ist ehrlich.
- ist langlebig.
- ist konsequent – bis ins letzte Detail.
- ist ökologisch.
- ist so wenig Design wie möglich.
Aus Dieter Rams’ Worten geht hervor, dass gutes Design für ihn ästhetisch auf das nicht mehr Wegzulassende reduziert sein soll, eine Auffassung, die er mit Vielen teilt. Doch ist gutes Design wirklich „so wenig Design wie möglich“? Was ist gegen eine üppige Anmutung zu sagen? Die Erziehungswissenschaftlerin Doris Schumacher-Chilla etwa beobachtete, dass heute Emotionalität, sensuelle und ikonische Werte die rationalen und funktionalistischen Normen abgelöst hätten4.
Von externen Designwettbewerben und internen Designkriterien
Soll gutes Design zuallererst die Lebensqualität verbessern? Kann ein Gartenzwerg gutes Design sein, weil er seinen Besitzer erfreut? Kann man soziale und politische Aspekte bei der Designbewertung ausklammern? Was ist mit Zigarettenverpackungen oder Waffendesign? „Für mich hat Design wirklich Erfolg, wenn es zu einem Gespräch zwischen zwei Menschen anregt. Meiner Meinung nach ist es auch möglich, Objekte dazu zu verwenden, uns zum gegenseitigen Verständnis zu ermutigen“, bezieht der französische Designer Philippe Starck Stellung5.
Seit den 90er Jahren sind zunehmend marketingrelevante Überlegungen in die Design-Bewertung von Produkten gerückt. Der Rat für Formgebung etwa nennt als Bewertungskriterien unter anderen auch „Differenzierungsqualität zu Konkurrenzprodukten“ und „Marketingstrategie6“. Die Frankfurter Institution vergibt jährlich im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie die höchste nationale Designauszeichnung, den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland. Im Einzelnen werden die eingereichten Produkte in vier Kategorien aufgeteilt und hinterfragt:
Gestaltungsqualität
Gibt es ein klares und eigenständiges Gestaltungskonzept und einen innovativen, ästhetisch und funktional überzeugenden Einsatz der gestalterischen Mittel?
Gebrauchswert
Ausgezeichnete Produkte müssen hohe Gebrauchstauglichkeit und einwandfreies Funktionieren aufweisen. Sie müssen sicher zu bedienen sein. Die Gebrauchsweise des Produktes muss klar visualisiert sein. Ästhetische und physische Lebensdauer stimmen überein.
Technische Qualitäten
Verwendung zeitgemäßer Medien, Materialien und Technologien, technische Prinzipien und Funktionen, Detail- und Verarbeitungsqualität.
Gesamtkonzept
Das Produkt soll sinnlich-geistig stimulierend sein und Erlebnisqualität bieten. Es muss Differenzierungsqualität zu Konkurrenzprodukten haben und in eine Marketingstrategie eingebunden sein. Umfeldbezug und Preisniveau sollen stimmen.